Schnell ermüdender «NZZ»-Leser

Und wieder einmal Slavoj Žižek im «NZZ»-Feuilleton. Ein Text, den rs. aus dem Englischen übersetzt hat. Žižek zähle zu den bedeutendsten Philosophen der Gegenwart, lese ich unter dem Text. Nicht, dass mich das ärgert. Ich nehme diese Behauptung sozusagen achselzuckend zur Kenntnis: eine dieser üblich werdenden Übertreibungen.

Und ich bin auch nicht sonderlich überrascht, dass der andere bedeutendste Philosoph der Gegenwart in Žižeks Text Erwähnung findet: «Sloterdijk ist der ultimative Korrumpierer, der Mann, der keine Angst davor hat, gefährlich zu denken und die Voraussetzungen menschlicher Würde oder des modernen Wohlfahrtsstaates radikal infrage zu stellen.»

So sind also wieder einmal die Leute versammelt, die heute zum «NZZ»-Feuilleton gehören wie der Spiegel zum Ei. Männer, die ihre eigene Schrecklichkeit allzu ernst nehmen und das böse wilde Denken proben.

Sie verlieren dabei allerdings die Präzision, namentlich bei Sloterdijk ist das der Fall, wie man an Einzelbeispielen belegen kann. Und sie schwurbeln, wie Žižeks Text zeigt. Schon der Untertitel lässt mich ratlos: «Philosophie muss korrumpieren – nur, was bedeutet das heute?» Nein, Philosophie muss nicht korrumpieren. Aber sie tut es wohl dann und wann. Und das bedeutet auch heute noch das Gleiche wie ehedem: Statt kreativer Skepsis sät sie in solchen Fällen fixe Ideen und verdirbt – korrumpiert – das Denken.

Man kann natürlich, wie es Žižek unter Berufung auf den französischen Philosophen Alain Badiou tut, den Begriff «Korruption» positiv umdeuten: als Entfremdung von der gerade vorherrschenden ideologisch-politischen Ordnung – und dann wäre in der Tat Sokrates, der Verführer zu selbständigem Denken, ein früher Korrumpierer.

Aber wieso soll man das tun? Wieso soll man die Sprache durch Umdeutung von Worten «korrumpieren»?

Es sind Kleinigkeiten wie diese, an denen ich meinen Überdruss festmachen kann. Ich bin, wenn ich die «NZZ» zur Hand nehme, ein schnell ermüdender Leser. Einer, der die «alte ‹NZZ›» vermisst. Nicht, weil ich häufiger als heute mit ihr einverstanden gewesen wäre. Aber ich mochte ihre Sperrigkeit. An deren Stelle tritt nun mehr und mehr zeitgeistiges Schwurbeln, eine Art Selbstbestätigung der vorherrschenden Ideen(losigkeit), der um sich greifenden illiberalen Liberalität. Klar, dass ein Uwe Justus Wenzel nicht mehr dazu passt.

Ist dieser Wandel die Folge von «mehr Unternehmertum in unseren Redaktionen», wie es «NZZ»-Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod in einem kürzlich in seinem Blatt publizierten Gastkommentar zu erkennen glaubt? Zeigt sich an solchen Beispielen der «Spagat zwischen Sparen und Investieren», von dem der Pharma-Manager spricht? «Wir müssen Mittel zur Verfügung stellen für neue Angebote, die für unsere Kunden morgen attraktiv sind – selbst wenn wir damit vorübergehend unser Ergebnis belasten. Das ist unternehmerisches Handeln: Zuerst säen, dann ernten.» Auch dies klingt in meinen Ohren unkonkret und unklar, könnte also Schwurbel sein.

Das gilt auch für den Beitrag von Pietro Supino, dem Verwaltungsratspräsidenten der Tamedia: «Die Chancen sind mindestens so gross wie die Herausforderungen.»

Mit ihm bin ich zwar der Meinung, dass «die wichtigste Voraussetzung für unseren künftigen Erfolg […] die Qualität unserer journalistischen Angebote» ist: «Fehler vermeiden, Fairness, Transparenz herstellen».

Aber die Tatsache bleibt, dass der Tamedia-Konzern heute mit Dienstleistungen Geld verdient, die früher den Journalismus finanzierten. Es geht ihm deshalb gut. Supino hat recht, wenn er Amazon-Gründer Jeff Bezos zitiert: «Complaining ist not a strategy!» So recht wie Michael Furger, der uns Journalisten auffordert, uns doch zusammenzureissen: «Das Jammern ist zu einem Entlastungsritual für schlechten Journalismus geworden. […] Und das Schlimmste an den Klagen: Sie stimmen nicht. Fake-News.»

Fake-News? Es gibt ihn zwar noch, den guten Journalismus, gerade auch bei Tamedia und bei der «NZZ». Ich bin den Kolleginnen und Kollegen dankbar, die ausharren trotz schlechter werdenden Arbeitsbedingungen. Aber, liebe Optimisten: Es passiert gerade etwas, und die Leute am Steuer schwurbeln drauflos. Und noch schlimmer: Die Ideologen greifen zu.

Hanspeter Spörri ist freier Moderator und Journalist in Teufen (Appenzell Ausserrhoden). Er arbeitete ab 1976 als Lokal-, Kultur- und Auslandredaktor verschiedener Zeitungen und eines Lokalradios. Von 2001 bis 2006 war er Chefredaktor des «Bund».

von Hanspeter Spörri | Kategorie: Mediensatz

3 Bemerkungen zu «Schnell ermüdender «NZZ»-Leser»

  1. Skepdicker:

    Ironischerweise finde ich, dass dieser schwurbelkritische Text einen hohen Anteil an Geschwurbel enthält (der Duden zu Geschwurbel: «wortreiche, unverständliche und inhaltsarme Äusserung»). Was will uns Hanspeter Spörri sagen?

    Versuch einer Entschwurbelung:

    Žižek und Sloterdijk erscheinen zu oft im NZZ-Feuilleton. Verantwortlich dafür ist René Scheu. Žižek und Sloterdijk kokettieren mit ihrem Bad-Boy-Image, sind unpräzis und schwurbeln. Welche Erkenntnis wird beispielsweise gewonnen, indem man wie Žižek das Wort «korrumpieren» im sokratischen Sinne positiv umdeutet und mit der Aussage provoziert, Philosophie müsse korrumpieren?

    Spörri las die NZZ früher lieber. Obwohl er weltanschaulich schon mit der «alten NZZ» übers Kreuz lag, vermisst er diese. Die heutige NZZ erscheint ihm zunehmend als ideenlos und weltanschaulich verengt. Zur ideologischen Homogenisierung passt die Entlassung Uwe Justus Wenzels.

    Spörri erkennt Parallelen zwischen dem NZZ-Feuilleton und NZZ-Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod: beide sind inhaltlich unkonkret und unklar. Dies gilt auch für den Verwaltungsratspräsidenten von Tamedia, Pietro Supino. Dieser anerkennt zwar, dass journalistische Qualität die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg ist. Anders als füher wird bei Tamedia der Journalismus aber nicht mehr durch profitable Dienstleistungen quersubventioniert.

    Was tun? Jammern hilft nicht. Und es gibt ihn trotz allem noch, den guten Journalismus. Aber Obacht, liebe Kollegen: Die Manager der Medienkonzerne haben entweder keine klare Strategie oder machen diese lieber nicht öffentlich. Beides verheisst nichts Gutes. Das weitgehende Verschwinden der Forumszeitung und die politische Ausdifferenzierung der Medien hat zudem zur Folge, dass die Medien vermehrt das ganze Meinungsspektrum der Bevölkerung abbilden. Das bedeutet erstens, dass wir vermehrt Texte lesen müssen, die uns ärgern. Zweitens bedeutet dies, dass für leicht links der Mitte positionierte Journalisten das Gedränge um die Futtertröge besonders eng geworden ist.

  2. Hanspeter Spörri:

    Gar nicht so schlecht übersetzt, geschätzter Skepdiker! Man versteht sich also auch ein wenig, wenn man nicht die gleiche Haltung hat. Dass zur sokratischen Methode das Umdeuten von Sprache gehört, bezweifle ich allerdings. Und ob wir vermehrt Texte lesen müssen, die uns ärgern, weiss ich nicht. Ich konnte mich schon immer recht gut ärgern. Sicher gibt es aber mehr Apodiktisches, Unsokratisches. Und eine politische Ausdifferenzierung der Medien kann ich bisher nicht erkennen.
    Aber Sie haben recht: das Gedränge um die Futtertröge ist knapp links der Mitte enger geworden. Als Journalist ist man eben immer auch Angestellter, wenn man nicht das Glück hat, nicht auf das regelmässige Einkommen angewiesen zu sein.

  3. Wenn ein Populist zum Feuilletonchef erkoren wird und dieser die Fachjournalisten entlässt (vermutlich, weil sie ihm zu gut sind), dann muss man halt damit rechnen, dass nur noch Populärphilosophen (und sonstige Populärkultur) die fachlichen Inhalte verdrängen. Die Herren Sloterdijk und Žižek haben gewiss auch in der Philosophie interessante Denkfiguren eingebracht – der eine etwa mit der Differenzierung zwischen Zynikern und Kynikern, der andere mit einer originellen Anwendung Lacanscher Begriffe -, doch wenn das Feuilleton lieber mit ideologischen Verlautbarungen dieser Herren, AfD-Gedöns von gewissen SchriftstellerInnen und dem Mimimi über den angeblichen Gesinnungsterror an Universitäten gegen arme verschupfte Professoren von rechts bis konservativ vollgestopft wird, merkt man die Absicht und ist verstimmt.

    Man ist nicht nur verstimmt, weil auch noch das Feuilleton für politische Meinungsmache hinhalten muss, sondern auch, weil es mit der Boulevardisierung und der Entlassung von Fachjournalisten seine Professionalität verloren hat. Da es ein Affront gegenüber dem interessierten Leser ist, wenn ausgerechnet jemand, der keine Kulturaffinität hat, den Feuilletonchef mimen darf, bleibt einem nichts anders übrig, als die NZZ nach jahrelanger Treue abzubestellen. Denn auf die vor Ideologie triefenden Politik- und Wirtschaftsbünde hätte man schon vorher verzichten können. Weil nun auch das Feuilleton nichts mehr mit Qualität vorweisen kann, erübrigt sich ein Abonnement.

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