Der Luzerner Regierungsrat und Sozialdirektor Guido Graf (CVP) hat in der ersten Augustwoche einen Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga geschrieben und diesen auf der Website des Kantons veröffentlicht (PDF). Er sorgte damit für nationale Schlagzeilen und erntete in den sozialen Medien viel Lob.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement und später auch die Bundespräsidentin persönlich wiesen die Luzerner Vorwürfe zurück. Schon jetzt sei es gängige Praxis, eritreischen Asylbewerbern nicht in jedem Fall den Flüchtlingsstatus zu gewähren. Die Forderung der Luzerner Kantonsregierung ziele deshalb ins Leere. Allerdings sei es – so Sommaruga – undenkbar, Menschen nach Eritrea zurückzuschicken, in einen Unrechts- und Willkürstaat.
Laut «Basler Zeitung» lässt sich Guido Graf von der Empörungswelle nicht einschüchtern, die sein Brief an die Bundespräsidentin losgetreten habe. «Ich bereue diese Aktion nicht», wird er dort zitiert. Gegenüber der «Neuen Luzerner Zeitung» zeigt er sich überrascht, dass der Brief von Bundespräsidentin Sommaruga und von den Medien so falsch ausgelegt worden sei.
Stefan Calivers, Chefredaktor des «Willisauer Boten», schreibt im Kommentar (PDF) vom 7. August: «Ist es wirklich mutig, dem Volk nach dem Mund zu reden? Und dabei zumindest in Kauf zu nehmen, dass der schwelende Unmut in der Bevölkerung noch befeuert wird?» – «Nein, mutig ist anders», fährt Calivers fort. Nüchtern stellt er fest, die Einschätzung der Lage in den Herkunftsländern von Flüchtlingen sei Sache des Bundes. Die Luzerner Regierung verfüge kaum über mehr Kompetenz als Fachleute des Bundes und der UNO.
Stefan Calivers kennt Guido Graf persönlich und wird ihm auch künftig immer wieder begegnen. Graf war zudem einst Verwaltungsrat des «Willisauer Boten». Calivers lässt ihn im Interview ausführlich zu Wort kommen, konfrontiert ihn mit dem Vorwurf, die Luzerner Regierung heize die negative Grundstimmung in der Asyldebatte zusätzlich an. Dagegen verwahrte sich Graf: «Wir machen auch keine (Partei-)Politik im Hinblick auf die Herbstwahlen, wie uns jetzt verschiedentlich vorgeworfen wird. Wir wollen Lösungen, keine Polemik. Und wir sind bereit, unseren Teil dazu beizutragen.»
Im Kommentar äussert Calivers Verständnis für die «schwere, ja sehr schwere Aufgabe», welche Guido Graf und sein Departement zu lösen hätten. Allerdings werde das Pferd am Schwanz aufgezäumt, wenn Vollzugsprobleme gelöst würden, «indem man ohne nachweislichen Grund einfach die Kriterien anpasst». Der «Notruf» – so bezeichnet Graf seinen Brief – sei aus dessen Sicht zwar nachvollziehbar. Gegenüber den Gemeinden habe er seine eigene Autorität allerdings untergraben: «Wie will er künftig die Kommunen davon überzeugen, dass sie Asylsuchende, insbesondere aus Eritrea, noch aufnehmen sollen?»
Aus meiner Sicht ist es bemerkenswert, wenn eine kleine Lokalzeitung jenen entgegentritt, die im politischen Wettbewerb simple, aber untaugliche Lösungen propagieren und Länderkenntnisse vorgaukeln, die sie gar nicht haben können. Wer Flüchtlinge, die er nicht aufnehmen will, als unechte Flüchtlinge diffamiert, verrät sein schlechtes Gewissen, das er mit einer (Selbst-)Täuschung beruhigen will. Er inszeniert sich als unerschrocken und erhält entsprechend Applaus. Allerdings ist er nur schein-mutig und nutzt ein Dilemma für eigene Zwecke.
Der zweimal pro Woche erscheinende «Willisauer Bote» ist seit vielen Jahren eine respektable Lokalzeitung. Sie spiegelt alle Standpunkte, kommentiert klar und ohne Anbiederung, spitzt nicht unnötig zu. Mutige Blätter wie dieses sind unersetzlich.
Hanspeter Spörri ist freier Moderator und Journalist in Teufen (Appenzell Ausserrhoden). Er arbeitete ab 1976 als Lokal-, Kultur- und Auslandredaktor verschiedener Zeitungen und eines Lokalradios. Von 2001 bis 2006 war er Chefredaktor des «Bund».