Multiple Choice a gogo

Die Universität Freiburg hat herausgefunden (PDF), dass sich die Schweizer Journalistinnen und Journalisten in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Schuld daran sei der zunehmende Druck auf die Arbeitsbedingungen. Dies schränke die Freiheit der Berichterstattung ein; es bleibe kaum noch Zeit für vertiefte Recherchen und für die Pflege von Netzwerken, sagen die Forscher.

Dies dürfte nun etwa die zweihundertste wissenschaftliche Arbeit in den letzten Jahren zum Thema Journalismus in der Schweiz sein. Diese Studien befassen sich interessanterweise fast ausschliesslich mit der Arbeitssituation der Medienmacher, die seit Jahren derart desolat zu sein scheint, dass es diesen Beruf wohl kaum mehr lange geben wird. Doch wann erscheint einmal eine Arbeit, die sich dem Phänomen widmet, dass Journalismus enorm en vogue ist, dass dieser Beruf so beliebt ist, wie kaum je zuvor, dass die zahlreichen Ausbildungsinstitute − von den Fachhochschulen übers MAZ bis zur Ringier Journalistenschule − jedes Jahr so viele neu ausgebildete Jungjournalisten ins Erwerbsleben entlassen wie noch nie seit Gründung dieser Ausbildungsstätten? Nimmt man diese Zahlen zur Norm, so geht es dem Journalismus prächtig.

Ja, dem Journalismus geht es so gut, dass sich neben ihm eine eigentliche Parallelindustrie entwickeln konnte: die institutionalisierte Medienwissenschaft. Auch diese produziert eine Unmenge an Studentinnen und Studenten, die in hoher Kadenz Arbeiten aller Art abliefern müssen: Semesterarbeiten, Abschlussarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten. Dann werden diese beliebten Fragebögen mit Multiple-Choice-Kreuzchen-Friedhöfen herumgemailt («Sie benötigen zur Beantwortung nicht mehr als zehn Minuten»), und schon hat man nach kurzer Auswertung wieder die Basis für eine saftige Medienstudie. Befeuert wird dies alles durch eine rührige Professorenschaft, die nach Kräften darauf konzentriert zu sein scheint, den Untergang der Branche möglichst drastisch aufzuzeigen. Wahrscheinlich, um damit die Notwendigkeit neuer Studien zu untermauern, muss doch ein derart kriselndes System noch viel besser beobachtet werden. Diese Spirale wird zur perfekten Symbiose, wie man sie aus dem Tierreich kennt: Die Medien-Ameisen bedienen die Forscher-Blattläuse fortwährend mit Stoff, und beide scheinen ohne den anderen nicht auszukommen.

Und während sich nun die Exportwirtschaft, die Lebensmittelbranche und der Tourismus angesichts der Euorokrise innert Wochenfrist das Hirn zermartern müssen, wie man richtig auf die neuen Marktgegebenheiten reagieren könnte, leisten sich die Journalistinnen und Journalisten gemäss diesen Studien noch immer das grosse Jammern. Strukturanpassungen waren noch nie ihre Stärke. Einst ging es vom Bleisatz zum Fotosatz. Später setzte das Internet neue Prioritäten. Das waren und sind jahrelange Prozesse.

Die Medienbranche hat das Privileg, relativ lange über den richtigen Weg nachdenken zu können. Und dennoch scheint permanent Krise zu herrschen, jede noch so sanfte Anpassung an den Markt, wie die Einführung eines Newsrooms oder andere konvergente Ansätze, werden gleich zur Götterdämmerung des seriösen Journalismus hochstilisiert.

Aber vielleicht ist das auch übertrieben. Vielleicht müsste man nur mal die Fragestellungen dieser Studien ändern …

Andrea Masüger ist CEO der Somedia (vormals Südostschweiz Medien).

von Andrea Masüger | Kategorie: Mediensatz

5 Bemerkungen zu «Multiple Choice a gogo»

  1. es muss für journalisten eine wonne sein, bei herrn masügers blättern zu arbeiten. wie er wortgewaltig hinter seinen schreibern steht ist einfach vorbildlich. und die entdeckung von kausalen zusammenhängen, diesmal zwischen hochblüte des journalismus und inflationärer medienwissenschaft, beherrscht er aus dem effeff. auch der kontext von akuten währungsfisimatenten im export und schnarchnasigem langzeitjammern der schurnis ist eine messerscharfe erkenntnis, die uns in dieser erschreckenden konsequenz bis zum heutigen tag gar nicht bewusst gewesen war. auch sollten wir herrn masüger für den wichtigen hinweis danken, rhetorisch gekonnt zwischen den zeilen platziert, dass die proppenvollen journalistenschulen auf erstklassige und langfristig gesicherte arbeitsbedingungen in seiner und ähnlichen redaktionen zurückzuführen sind. nicht auszudenken, wohin sich der diskurs um den von tranigen wissenschaftlern hochgejazzten medienwandel bewegen würde, wenn wir herrn masügers gelengentliche zwischenrufe nicht hätten. es wäre alles noch fiasköser.

  2. Matthias Giger:

    Entschuldigen Sie Herr Masüger, aber das ist Schwachsinn. Aus der Beliebtheit des Journalistenberufs zu schliessen, die Arbeitsbedingungen können so schlecht nicht sein ist eine extrem wacklige These. Im Gegenteil, die Verlagshäuser könnten sich diese zunehmend schlechteren Arbeitsbedingungen nicht leisten, wenn die jungen Leute nicht so viel Idealismus aufbringen würden. Hätte ich gewusst, was Sache ist, hätte ich nie als Journalist angeheuert.

  3. Nach einer ferienbedingten Sendepause eine kurze Reaktion zur Kritik von Herrn Masüger an unserer Studie.

    Erstens: Wahrscheinlich wäre es für die Medienunternehmen bequemer, wir würden andere Fragen stellen. Aber Wissenschaft soll ja nicht bequem sein, Sozialwissenschaften schon gar nicht, sonst sind sie überflüssig. Mit Kritik können wir also ganz gut leben. Die Frage nach Arbeitsbedingungen und redaktionellen Abläufen halten wir für hoch relevant, um konkrete Medienleistungen erklären zu können. Zudem gab es bisher nur wenig Forschung zur Arbeitssituation im Schweizer Journalismus. Insofern sind wir davon überzeugt, mit unserer Studie einen wichtigen Beitrag zu leisten.

    Zweitens: Nicht die ForscherInnen berichten von zunehmendem Druck im Journalismus und Folgen für die Berichterstattungsfreiheit, sondern die über 1000 JournalistInnen, die an der Befragung teilgenommen haben. Es erstaunt doch, dass die teilweise kritische Sichtweise der eigenen Angestellten im Medienmanagement nur so wenig Beachtung zu finden scheint.

    Drittens: Immer wieder interessant ist, dass Medienberichte wissenschaftliche Studien in der Regel recht unkritisch wiedergeben – es sei denn, es handelt sich um Forschung aus der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Dann sind natürlich Fragestellung, Methoden und Ergebnisse immer hoch zweifelhaft. Schade, denn eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit den Resultaten würde doch auch der Branche viel mehr bringen.

    Natürlich wünschen sich die Forscher-Blattläuse, dass die Presse durch journalistische Innovationen und neue Finanzierungsmodelle aus der Krise finden wird. Aber sogar wenn den Medien-Ameisen von den finanzstarken Datenkraken der Garaus gemacht werden sollte, wird es noch eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Medien geben. Wir machen schliesslich auch historische Forschung. Von einer Symbiose kann also keine Rede sein…

  4. Kritiker:

    Öffentlich alles schön-zu-reden war schon immer das einzige, was Andrea Masüger aus dem Effeff beherrschte. Sie sollten mal hören, was der Zögling von Verleger Hanspeter Lebrument hinter verschlossenen Türen so alles zum Besten gibt. Da ist dann nicht mehr viel Fleisch am Knochen des angeblichen Privilegs, „relativ lange über den richtigen Weg nachdenken zu können.“ Schliesslich brennt ja auch im Hause Somedia die Lunte zum Fass namens Bankrott bereits. Nicht zuletzt wegen des viel teurer als geplant gewordenen Medienpalastes, der in Tat und Wahrheit mehr ein lebrumentsches Denkmal ist. Ja, auch in Graubünden herrscht Krise. Und was für eine! Aber zugeben würde das ein Masüger öffentlich nie. Er verkriecht sich eben lieber in seinem Ein-Mann-Büro und verdrängt, was draussen vor den neuen Grossraumbüros (ineffizienter gehts gar nicht) und in der weiten Welt passiert. Und ja, auch Massüger hat sich von der Einführung des Newsrooms und anderen konvergenten Ansätzen eine Götterdämmerung des seriösen Journalismus erhofft. Das wichtigste aber, das verdrängen Masüger und Co. so gut, dass man mit ihnen beinahe Mitleid haben müsste: es geht gar nicht mehr um guten oder schlechten Journalismus oder eben um gute oder schlechte Journalisten. Das Wort gut existiert in der Branche von Masüger gar nicht mehr. Guter Journalismus findet leider nur noch in wirklich kritischen Onlineforen statt. Das Problem von Verlagshäusern wie der Somedia ist, dass ihnen im letzten Jahr gut 30 Prozent Inserateeinnahmen flöten gegangen sind. Und das nur, weil man sich sturer als ein Walliser Kampfstier an journalistischen Grundregeln festklammert, die schon lange nicht mehr gelten. Doch statt mal Tacheles zu reden, jammert Masüger eben lieber über wissenschaftliche Studien, die er stundenlang in seinem Ein-Mann-Büro kreuz und quer liest.

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