Mentalitätswandel

Die NZZ-Leitung wollte vieles ändern. Und sie glaubte sogar, einen Plan und ein Ziel zu haben. «Wenn ich unsere Situation vergleiche mit anderen Industrien, ist der nötige Mentalitätswandel die grösste Hürde», sagte Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod im Interview mit der «Finanz und Wirtschaft». Das ist eine Worthülse.

Aber man ging mit schlechtem Beispiel voran, agierte ruppig und stillos, entliess einen Chefredaktor, ohne dass offensichtliche Entlassungsgründe vorhanden waren. Die nachrufartige Eloge auf den Abgesetzten zeigt immerhin, dass es Etienne Jornod nicht ganz geheuer ist mit der neuen Hektik.

Teil der neuen Schock-Strategie aber war es wohl, möglichst viel internes und externes Vertrauen zu zerstören, um aus den Ruinen eine neue digital-bürgerliche «NZZ» auferstehen zu lassen. Auch die Gespräche mit Markus Somm gehörten dazu. Dieser ist ein guter Journalist. An seiner Nähe zu Christoph Blocher besteht kein Zweifel. Ganz ahnungslos können auch der Verwaltungsrat und CEO Veit Dengler nicht gewesen sein. Aber eben: Einen Mentalitätswandel erreicht man nur, indem man die alte Mentalität zerstört.

Die «NZZ»! Wer sie leitete, musste die Kunst des Understatements beherrschen. Sie war ein Hort der Unaufgeregten, eine Institution der Gelassenheit, der Debatte und der Vernunft – manchmal auch der Unvernunft. Die innere Redaktionsfreiheit war die wesentlichste Errungenschaft des Blattes. Deshalb lese ich die «NZZ» leidenschaftlich gern.

Aus meiner Sicht darf sie wohl dünner werden, aber nicht dümmer. Im Internet muss sie nicht zu den Schnellsten gehören. Mir ist es egal, wenn ihre Gewichtung hin und wieder absonderlich ist, wenn einzelne ihrer Redaktoren und Korrespondenten Haltungen vertreten, die ich nicht teile und nicht gutheisse. Als Leser weiss man das einzuordnen – wie damals, noch vor Spillmann, als der Auslandchef den 3. Golfkrieg rechtfertigte, ohne die moralischen und strategischen Defizite der amerikanischen Führung zu erkennen.

Politisch hat die «NZZ» immer wieder überrascht, manchmal durch Voreingenommenheit, manchmal aber auch durch Scharfsinn und Offenheit. Oft hat sie Massstäbe gesetzt, beispielsweise in der Gerichtsberichterstattung. In Sachen Kultur und Wirtschaft ist sie bis heute ein Weltblatt, an Eigenwilligkeit oft nicht zu überbieten. Die meisten ihrer internationalen Korrespondenten sind extrem seriös und verlässlich.

Dass man sich über seine Zeitung ärgern kann oder muss, zählt zu den Stärken der «NZZ» Es ist ein produktiver Ärger.

Nun, in Zeiten schrumpfender Einnahmen und sinkender Auflage, will man es anscheinend diesen und jenen recht machen – jenen, die fordern, die NZZ müsse wieder eine echt liberale Zeitung werden und damit meinen: eine nationalkonservative; diesen, die sich den digitalen Wunderauftritt erhoffen, der die Rückgänge bei Auflage und Werbeeinnahmen stoppen soll.

Auf die konservativen «NZZ»-Leser, zu denen ich mich zähle, nimmt man anscheinend keine Rücksicht mehr. Dabei wäre unser Wunsch bescheiden: die «NZZ» soll trotz und mit digitalem Wandel das verlässliche und manchmal absonderliche Organ bleiben, das sie seit langem ist. Der «Tages-Anzeiger» setzt ansprechendere Titel, die «Weltwoche» schreibt eleganter, die «Woz» hat bessere Reportagen und die «Zeit» ist zeitkritischer – egal: die «NZZ» ist unvergleichlich. Nicht mehr ganz so wie früher. Aber immer noch.
In meinen Augen war Markus Spillmann deshalb ein guter Chefredaktor. Es ist ihm nicht gelungen, die widersprüchlichen Erwartungen zu erfüllen. Wäre ihm das gelungen, wäre er kein guter Chefredaktor gewesen. Denn die Erwartungen – auch und gerade innerhalb des Verwaltungsrats – waren und sind so, dass die «NZZ» zerstört würde, wenn jemand sie alle erfüllte.

Für meinen Geschmack hat Markus Spillmann allerdings zu sehr dem Zeitgeist gehuldigt. Er hätte sich nicht für den etwas eigenartigen Kommentar über das Coming-Out des Apple-Chefs entschuldigen müssen – wie gesagt: als Leser weiss man das einzuordnen. Er hätte nicht in Facebook und Twitter erscheinen müssen, weil diese Medien zu aufgeregt und zu personifiziert sind und nicht zur «NZZ» passen. Das Fernsehen hätte er meiden dürfen. Dann wäre der Bart kein öffentliches und psychologisiertes Thema geworden. – Gründe für den Rauswurf sehe ich allerdings keine. Die bessere Alternative wäre der Rücktritt des Präsidenten im gegenseitigen Einvernehmen gewesen.

Wer sich nun für das Amt des «NZZ»-Chefredaktors bewirbt, ist für das heikle Amt nicht geeignet, denn er leidet an Selbstüberschätzung. «NZZ»-Chef ist jetzt, im Chaos, welches der VR angerichtet hat, ein Posten, der noch die Wägsten und Besten überfordert. Als «NZZ»-Chef muss man mit einem Verwaltungsratspräsidenten und einem CEO umgehen, die modern, entscheidungsfreudig und ratlos sind – und dem Stil und der Klasse der «NZZ» nicht gerecht werden. Sie begreifen nicht, dass die Leserschaft der «NZZ» von ganz links bis ganz rechts reicht. Sie verstehen nicht, dass man den Einflussnehmern jeglicher Couleur nicht zu weit entgegengehen darf, dass man die Redaktion selbst sich weiterentwickeln lassen muss.

Der neue «NZZ»-Chef sollte ein hervorragender Manager und ein ausgezeichneter Journalist sein – er oder sie müsste mehr können und sein, als ein einzelner Mensch können und sein kann. Man weiss ja: Niemand brilliert zugleich als Journalist, als Welterklärer, als Stratege, Personalchef, Digitalisierer, als Sparer und als Unterhalter, als Redner vor der Aktionärs-GV und als Tagesleiter.

Am besten wird man künftig wohl einen guten Schauspieler anstellen und ihm einen Drehbuchautor zur Seite stellen, der kreativ mit Paradoxien umgehen kann. Denn es wird vor allem auf die Darstellung ankommen, darauf, die Rolle glaubhaft zu geben. Die «NZZ»-Redaktion aber führt sich am besten selbst.

Hanspeter Spörri ist freier Moderator und Journalist in Teufen (Appenzell Ausserrhoden). Er arbeitete ab 1976 als Lokal-, Kultur- und Auslandredaktor verschiedener Zeitungen und eines Lokalradios. Von 2001 bis 2006 war er Chefredaktor des «Bund».

von Hanspeter Spörri | Kategorie: Mediensatz

11 Bemerkungen zu «Mentalitätswandel»

  1. Ugugu:

    Markus Somm ist ein hundsmieserabler Journalist. Und ein schlechter Stilist. Einfach damit diese Meinung auch mal von wem festgehalten ist.

    • Alter Onkel:

      @ugugu word! Und überhaupt: Was macht denn einen guten Journalisten aus? Selektive Wahrnehmung der Faktenlage bis zum Verdrehen der Wahrheit? Einen Schreib- und Argumentationsstil, der an einen kläffenden Köter denken lässt? Die Unfähigkeit, zwei Sachen gleichzeitig zu denken? Es ist für diese Zunft bezeichnend, dass solcherlei Handwerkskunst jetzt überall als vorbildlich gewürdigt wird. Als ob der einzige Mangel an Somm seine politische Ausrichtung wäre (das dürfte ja, in Anbetracht seiner windfahnenartigen Richtungswechsel das kleinste Problem sein).

      Und damit es auch mal gesagt ist: Die BaZ ist ein Schatten ihres einstigen Selbst. Wie man dazu kommt, Somm dafür zu loben, dass er die BaZ wieder relevanter und besser gemacht habe, ist mir schleierhaft. Um zu diesem Urteil zu gelangen, muss man an grossem Gedächtnisverlust oder einer anderen Form der Wahrnehmungsstörung leiden. Die BaZ überzeugte einst mit anspruchsvollen Hintergrundtexte, einem eigenständigen, relevanten Kulturteil etc, etc. Das wurde natürlich schon vor der Ära Somm Seite um Seite gestrichen, geschreddert und eingestellt, aber Somm hat die Entwicklung auf die Spitze getrieben. Die wenigen Seiten, die man als BaZ-Leser heute noch in den Händen halten darf, sind ein publizistischer Witz im Vergleich zu dem, was diese Zeitung einst war.

    • Frank Hofmann:

      Aber erst, seit er bei der BaZ ist, n’est-ce pas? Der Faden sei weitergesponnen und es sei „festgehalten“: Wäre er NZZ-Chef geworden, wäre er nicht mal mehr Journalist, sondern ein X, Y oder Z (einzusetzen von @Ugugu). PS1: Die „Nackt-Selfies aus dem Bundeshaus“ hatte Spillmann zu verantworten. PS2: @Ugugu ist schwach in Orthografie, höchstwahrscheinlich schlechter als Somm. Ist aber eventualiter auf akut erhöhten Blutdruck zurückzuführen.

      • Ugugu:

        Ach, mein lieber Herr Hofmann. Sobald jemand etwas gegen die BaZ oder die Weltwoche vorbringt, kommen Sie um die Ecke. Würden Sie mich auf Twitter nicht regelmässig mit „Anonymling“ eindecken, käme es mir noch nicht einmal ‚gschpässig‘ vor, dass es bei der Weltwoche gar keinen Frank Hofmann gibt.

        Ich glaube allerdings nicht, dass ich Herrn Somm als NZZ-CR übler bewerten würde als ohnehin. Herr Somm hat Edward Snowden einst als einen der grössten Verräter der Geschichte bezeichnet. Kann man machen. Jetzt vielleicht nicht unbedingt als Historiker, aber kann man machen. Auch kann man als Chefredaktor die Lügen des aus dem versteckten agierenden Zeitungsbesitzers über Jahre mittragen. Nur darf man dann nicht unbedingt erwarten, dass die Leser einem bei anderen Themen mehr Redlichkeit zutrauen. Somm ist und bleibt leider Blochers Kettenhund.

        PS: Noch ein Tipp, um etwas weniger griesgrämig durchs Leben zu kommen: Anderen ihre Fehler etwas weniger penetrannt unter die Nase reiben. Entspannt ungemein.

        • Frank Hofmann:

          Oh, pardon, Monsieur Ugugu, für die wiederholte, unschickliche Penetration in den exklusiven Zirkel der Somm-, Köppel-, BaZ- und WW-Gegner.

          Und vielen Dank für Ihren klugen Tipp. Wie mir ein Vergleich Ihrer beiden Kommentare zeigt, sind Sie allerdings bei der Umsetzung desselben nicht wirklich weitergekommen. Ich zähle auf Ihr Verständnis, dass ich Unterstellungen nicht kommentieren möchte.

  2. Kurt Imhof:

    Danke Hanspeter Spörri. Sie bringen es auf den Punkt: Eine von widersprüchlichen Zielvorgaben von ‚oben’ getriebene NZZ weiss nicht, wohin sie soll. Da muss jeder Chef scheitern. Eine international ausgerichtete Digitalstrategie à la „Politico“ im deutschsprachigen Raum auf der Basis der Marke NZZ steht dem Bestreben einer rechtsbürgerlichen Akzentuierung des politisch-publizistischen Profils frontal gegenüber. Beides zusammen ist schlicht unmöglich.

    Bei ersterem wird die NZZ bereits mit ihrem gängigen politischen Profil über die eigenen Füsse stolpern, hierfür reicht ein Blick in die international erfolgreichen Angebote (etwa den Economist), die sich mit den mannigfaltigen politischen und ökonomischen Auseinandersetzungen seit der Weltwirtschaftskrise viel meinungsoffener beschäftigen müssen als die wirtschaftspolitisch nach wie vor ausschliesslich am geglaubten Gegensatz von Markt und Staat orientierte NZZ.

    Bei letzterem, einer nationalkonservativen Akzentuierung, müsste die NZZ ihre internationale Strategie gleich schubladisieren. Darüber hinaus würde sie aber auch in der Schweiz ihre Wirkung wie ihre historisch gewachsene Reputation als Qualitätsblatt mitsamt tausenden von Abonnenten verlieren. Beide Strategien zeichnen sich also nicht nur durch ihre Inkompatibilität aus, beide Strategien würden je für sich verfolgt bedeuten, dass sich die NZZ anpassen müsste. Und das ist gar nicht ihr Ding! Die alte Tante ist eine Institution, sie wird gelesen, weil sie sich nicht anpasst, weil sie Orientierung in einer komplexen Welt vermittelt, indem sie die Leser zwingt, die Welt in Auseinandersetzung mit den Massstäben dieser Institution wahrzunehmen. Wer die NZZ regelmässig liest, wird zu hoher Frustrationstoleranz und Affektkontrolle erzogen. Dafür lernt man was. Die vielen Leser der NZZ links von der Mitte wissen das schon seit Dezennien, das schmalere nationalkonservative und rechtspopulistische Publikum der NZZ muss es noch lernen. Gefällig ist alte Tante nicht. Genau das charakterisiert sie.

    Diese DNA der Nicht-Gefälligkeit würde die NZZ bei beiden Strategien verlieren. Als im deutschen Sprachraum unter wirtschaftlichen und politischen Eliten beachtetes und bezahltes Informationsmedium müsste sie sich dem Slang und dem Informationshabitus eines politisch und kulturell ausgesprochen zersplitterten Segments anpassen, in dem die Meinungen über das, was der Staat, die EU und die europäische Zentralbank kann und das, was der Markt kann, weit auseinandergehen. Dieses Elitenpublikum lässt sich nur durch Debatten über Glaubenssätze erreichen, nicht über eine Berichterstattung, die die Welt im Licht von Glaubenssätzen strukturiert. Bei einer nationalkonservativen Akzentuierung könnte die NZZ zwar die Dogmen ihrer wirtschaftspolitischen Fixierung behalten, sie müsste sich aber zusätzlich an den Widersprüchen abarbeiten, die sich durch die Kombination eines immerhin universalistischen Glaubens an einen unendlichen Steuer- und Standortwettbewerb und den partikularistischen Dogmen vom ‚Volk’ versus einer ‚classe politique’ und vom Eidgenossen versus alles Fremde zwangsläufig ergeben.

  3. Baabler:

    Die NZZ soll nicht dümmer werden?

    Ich habe der „alten Tante“ spätestens mit der Russland- und Ukraineberichterstattung den Rücken gekehrt. Wer meine Intelligenz mit einseitigem Kriegsgeschrei beleidigt und mir so keine Meinung ermöglicht, will mich manipulieren. Wenn ich mir die fehlenden Informationen woanders holen muss, wird die Quelle obsolet.

    Herr Spörri, Sie schreiben: „Die innere Redaktionsfreiheit war die wesentlichste Errungenschaft des Blattes“ war. Wie wahr.

    Und das geht nicht nur mir so. Viele meiner Journalistenkollegen hatten einen Traum: zur NZZ! Heute sagen die gleichen, dass sie sich nicht mit dieser einseitigen Berichterstattung abfinden könnten. Es mag sein, dass es die innere Redaktionsfreiheit gibt, aber die fängt sicherlich nicht bei der Selektion von Journalisten an.

    Heute nutze ich die NZZ nur noch online für die Information in den Kommentaren, die beispielsweise zum Russlandkonflikt zeigen, wie weit und wie schnell sich die NZZ von ihren Lesern entfernt.

    Ich warte nun weiter auf eine Zeitung, die mir im aufklärerischen Sinne eine eigene Meinungsbildung ermöglicht, eine in der die vom Presserat herausgegebenen „Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten“ ernst genommen werden. Insbesondere die Nummer 3:

    „Sie veröffentlichen nur Informationen, Dokumente, Bilder, und Töne deren Quellen ihnen bekannt sind. Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen. Sie bezeichnen unbestätigte Meldungen, Bild -und Tonmontagen ausdrücklich als solche.“

    http://presserat.ch/21690.htm

  4. Fred David:

    Man möchte zu gern wissen: Wer hat diesen NZZ-VR einflüsterungsmässig „beraten“. Von selber kommt man doch gar nicht auf so eine abstruse Idee.

  5. Wir sind am Mutmassen. Meine Mutmassung ist, dass hier dieselben Kräfte am Werk sind, die vor Jahren den Tagi gebodigt haben. Damals war sogar von einem „Gegen-Tagi“ die Rede. Vielleicht würde sich ein vergleichender Blick in die Organisationsstruktur von Tamedia lohnen, die die BaZ assoziiert hat. Vielleicht hat der Ultraliberale Robert Nef seine Finger im Spiel, der dem Rechtsfreisinn und den Jungfreisinnigen nahesteht. Auch ein Kommentar von Herrn Stoehlker, der die libertären Gratiszeitungen zusammen mit Herrn Wigdorovits lancierte, lässt aufhorchen.

    Da nun die BaZ, die Weltwoche, die Aargauer Zeitung, (nach dem Wechsel des Chefredaktors) auch der Blick, (Watson ausgenommen) die Gratiszeitungen und sämtliche Erzeugnisse von Tamedia mittlerweile dem rechtskonservativen Mainstream Rechnung tragen (und die WoZ als Blatt für die „extreme Linke“ sowieso uninteressant), ist nur noch die letzte Bastion zu knacken, um eine Gleichschaltung der Medien zu bewirken: die NZZ.

  6. marak:

    Da ich nicht vom Fach bin, kann ich nicht „mit-mutmassen“. Geht es aber wirklich nur um die Ausrichtung der Zeitung und darum, dass andere Leute die Fäden ziehen möchten?
    Geht es nicht auch um die Rendite? Dass der Chefapotheker im Verwaltungsrat Renditezahlen anstrebt, die heute für ein Produkt wie die NZZ gar nicht mehr möglich sind? Schliesslich soll ja die Druckerei auch geschlossen werden.

  7. Skepdicker:

    Kann ich meiner hochverehrten NZZ noch trauen?

    Das heutige Feuilleton enthält zwei krasse Faktenfehler:

    Auf Seite 31 schreibt Felix Philipp Ingold: «…die überwiegend tatarisch bevölkerte Krim…»

    Laut Wikipedia handelt es sich bei 12 Prozent der Krim-Bewohner um Tataren.

    Auf Seite 38 schreibt Urs Hafner: «Wollen die Forschenden erfolgreich sein, müssen sie ihre Hypothesen statistisch beweisen, das heisst, die von ihnen erhobenen Daten müssen «signifikant» sein, also kleiner als der berüchtigte p-Wert von 0,5. Eine Aussage gilt erst dann als «wahr», wenn dieser Wert stimmt.» Und: «Die Versuchung ist natürlich gross, die Daten derart zu manipulieren, dass der Wert erreicht wird.»

    Der Forscher will erstens keinen p-Wert «erreichen», sondern eine vorher festgelegte Schranke möglichst klar unterschreiten (je kleiner der p-Wert, desto «besser» bzw. signifikanter das Resultat). Zweitens liegt diese «berüchtigte» Signifikanzschranke bei 0,05 (und nicht bei 0,5).

    Vielleicht sollte sich die Qualitätskontrolle bei der NZZ wieder vermehrt auf konventionelle Faktenchecks konzentrieren. Die als «Qualitätskontrolle» definierte Spillmann’sche Shitstorm-Prävention (siehe Fall Tim Cook / Christiane Henkel) sowie die Diskussionen über die politische Ausrichtung scheinen Ressourcen zu binden. Dabei war und ist das Alleinstellungsmerkmal der NZZ seit jeher ihre Faktentreue und Präzision.

    Dass Roger Köppel der NZZ zwei als Editorials getarnte Liebesbriefe widmete (der erste werbend, der zweite enttäuscht), ist kaum ein Zufall. Die rührend-entlarvende Sorge linker Politiker, Journalisten und Medienqualitätsvermesser um die Alte Tante ist ebenfalls kaum das Resultat einer wunderhaften Massenkonversion zum Liberalismus. Seien wir doch ehrlich: Für Konservative und Linke mit einem gewissen Anspruch ist die NZZ schlicht unverzichtbar. Noch lieber hätte man allerdings eine NZZ im eigenen politischen Lager. Dies ist die wahre Ursache der vergossenen Krokodilstränen in den letzten Wochen.
    Also, liebe NZZ-Redaktion: Wenn die Qualität stimmt, erübrigt sich die Diskussion rund um die politische Ausrichtung weitgehend.

    Wenn ich schon am Stänkern bin: Mir ist aufgefallen, dass jüngere NZZ-Journalisten in letzter Zeit Hipster-Themen wie Veganismus, Urban Gardening etc. forcieren. Als Quotenbürgerlicher in einem urban-linksalternativen Umfeld, Vegetarier und «Millennial» vermelde ich hochoffiziell: Deswegen liest doch keine Sau die NZZ! Wer sich über Hipster-Themen informieren will, liest weiterhin die Originale: also die WOZ, «Neon» oder «20 Minuten».

    Und wenn ich schon in Fahrt bin: Es gibt keinen rationalen Grund für die Verwendung der dämlich-anbiedernden Wir-Form («Warum wir XY…», «Sind wir XY?»). Wer ist damit überhaupt gemeint? Die verschiedenen Identitäten des Schizo-Journis? Der Journalist und seine (Patchwork-)Familie? Der Journalist und der Leser? Züri (mit oder ohne Schwamendingen)? Die Schweizer (mit oder ohne «Nationalkonservative»)? Die Europäer (inklusive der Moldauer und Albaner – oder nur die «wir reichen» Europäer)? Die Bewohner der «westlichen Welt»? Die Menschen?
    Bitte diesbezüglich sicherstellen, dass Peer Teuwsen gründlich dekontaminiert wurde. Denn die Wir-Grippe scheint bei den CH-Seiten der «Zeit» besonders stark zu wüten. Die etwas jüngere und dümmere Schwester der Wochentags-NZZ ist bereits infiziert. Wehret den Anfängen!

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