Achtung: Hier folgen noch ein paar ultimative Worte zu Kurt Imhofs jüngster Medienstudie. Ich weiss: Man mag nicht mehr. Aber dieses Eine sollte noch gesagt sein. Es dauert auch nicht lange.
Wir älteren Journalisten könnten uns eigentlich gemütlich zurücklehnen. Gemäss Professor Imhof waren die Zeitungen früher viel besser. Heute hingegen lässt die journalistische Qualität von Jahr zu Jahr nach. Qualitätsniedrige Medien nehmen überhand und verseuchen auch die Regionalpresse, die sich bis anhin noch einigermassen um Niveau bemühte. Daraus lässt sich ableiten: Vor Jahrzenten waren die Journalisten noch Geistesgrössen, heute sind sie oberflächliche und schlecht ausgebildete Luftibusse, die boulevardeske Blasen produzieren und im Rudel ihre Beute hetzen.
Ich wundere mich immer wieder, dass sich die jungen Journalistinnen und Journalisten nicht gegen diese Thesen wehren; die Imhofsche Generalabrechnung müsste eigentlich ganz gewaltig an ihrem journalistischen Selbstverständnis ritzen und ihre Berufsehre herausfordern. Sie sind alle so gut ausgebildet wie noch nie. Es gibt heute eine Ringier-Journalistenschule, es gibt ein MAZ, und jede Fachhochschule widmet sich intensiv Lehrgängen und Abschlüssen in Journalismus. Dennoch soll die Qualität des Geschriebenen immer mieser werden.
Doch die Jungen bleiben nicht nur still. Sie bugsieren sich noch selbst ins Abseits, indem sie getreulich die Imhofschen Thesen abschreiben, knackige Schlagzeilen vom schon wieder gesunkenen Presseniveau formulieren und Umfragen machen bei Politikern, die sich naturgemäss freuen über die Abqualifizierung derjenigen, die sie das Jahr hindurch immer wieder piesacken. Am Schluss stimmt alles: Imhof, Politik und Öffentlichkeit sind sich einig über den blamablen Zustand der Schweizer Medien. Das ist, wie wenn junge Ärzte in ihrem Verbandsorgan nicht nur lesen müssten, dass sie eigentlich nichts taugen, sondern dies auch noch selber da hineinschreiben würden. Die jungen Journalisten als fromme Opferlämmer des allmächtigen Qualitätsgottes.
Es sind die Alten, die sich wehren. Norbert Neiniger, in Ehren ergraut, nimmt sich regelmässig die Mühe, die Imhof-Papiere zu zerzausen. Manchmal meldet sich ein anderer Verleger. Hie und da ein Chefredaktor. Ansonsten bleibt es still.
Imhof hat sich diesen vorauseilenden Gehorsam geschickt gesichert. Denn er greift nicht die jungen Journalisten direkt an, sondern deren Arbeitgeber. Er sieht das Qualitätsmalaise in deren ökonomischem Verhalten, in den ewigen Sparübungen, in den Optimierungsrunden auf den Redaktionen. Viel Geld heisst für ihn viel Qualität, der Umkehrschluss daraus ergibt sich automatisch. Damit holt er die Jungen auf seine Seite, die daran zu glauben beginnen, dass sie totgespart werden. Es ist ja wissenschaftlich erwiesen! Von Selbstmitleid geplagte Schreiberinnen und Schreiber sind gute und willige Opfer. Die Kritiker kann man diskreditieren, denn sie sind ja auf der anderen Seite, sind die bösen Bosse. Auch den späten Klassenkampf beherrscht der Spätachtundsechziger Imhof auf diskrete Weise.
Zurzeit läuft die Ausschreibung für den Zürcher Journalistenpreis 2015. Die Jury wird im März wieder aus ganzen Stapeln hervorragender Arbeiten die besten drei auswählen. Sie wird die Qual der Wahl haben. Geschrieben sind diese Arbeiten fast ausschliesslich von jungen Journalistinnen und Journalisten. Die Professor Imhof für sehr scharfsinnig halten.
Andrea Masüger ist CEO der Somedia (vormals Südostschweiz Medien) und Präsident der Stiftung Zürcher Journalistenpreis (ZJP).
Lieber Herr Masüger,
Sie bringen die Diskussion nicht weiter. Ich möchte endlich mal eine inhaltliche Replik auf das Jahrbuch lesen. Analysen und Befunde an denen sich unsere Thesen reiben können. Es geht nicht um Personen und Ideologien. Es geht nicht um Kurt Imhof. Es geht um weit mehr, es geht um die Qualität der Medien, die uns allen am Herzen liegt. Mit „wir“ meine ich die zeichnenden Autoren, die hinter den einzelnen Kapiteln des Jahrbuchs stehen und die unzähligen Mitarbeiter, welche die Medien lesen und analysieren. Und es geht auch nicht um gute Wissenschaftler und böse Journalisten, wie Sie es darstellen. Es geht um empirische Fakten. Es geht um die Tatsache, dass der Konzentrationsprozess im Informationsjournalismus weiter voranschreitet und die Vielfalt dadurch einschränkt. Um den Fakt, dass insbesondere Gratis- und Boulevardangebote starkes Wachstum verzeichnen (das zeigen auch wieder die neusten NET-Metrix Zahlen von vorgestern) und die Anderen stagnieren oder kräftig verlieren. Darauf möchte ich eine Antwort hören.
Viel Geld heisst nicht automatisch Qualität.
Aber wenig Geld (und Personal und als Folge davon: Zeit) auch nicht.
Zu den Fakten und deren Erhebungen: Nicht die wissenschaftliche Messung ist das Problem, sondern der vorgegebene, durchaus auch ideologisch gefärbte Massstab, was denn Qualität sei. Simple Frage: Was ist für die Demokratie besser: Eine spannende, zugespitzte, personalisierte und, ähm, episodenhafte Polit-Story, die breites Interesse weckt, oder eine protokollartige Zusammenfassung einer Parlamentssitzung, die schlicht niemand liest?
Zur Vielfalt: Früher bedienten mehrere Titel an einem Ort jeweils ein politisch-gesellschaftliches Milieu, die einzelnen Leserinnen und Leser interessierte die theoretische Vielfalt aber nicht. Heute deckt meistens ein Titel ein sehr viel breiteres Spektrum ab. Ich behaupte, dass die durchschnittlichen Zeitgenossen von heute politisch sehr viel besser informiert sind als vor wenigen Jahrzehnten.
In der ganzen Debatte dürfen wir nicht vergessen, dass die mündigen Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden, welche Informationen sie konsumieren wollen. Also müssen wir Informationsanbieter uns ihren Gewohnheiten und Wünschen anpassen. Sie bestimmen, was Qualität ist. Nicht Kurt Imhof, und auch nicht wir geprügelten Journis. Das kann man bedauern, aber nicht negieren.
Schliesslich: Kaum jemand hat behauptet, dass im Jahrbuch jeweils alles falsch ist. Und selbstverständlich liesse sich so manches besser machen, wenn den Medienhäusern nicht die Einnahmen wegbrechen würden und die Redaktionen nicht jeden Füüfer zweimal umdrehen müssten. Was aber nachhaltig nervt, ist die pessimistische Grundstimmung, die so verbreitet wird. Darum behaupte ich nochmal fröhlich das Gegenteil: Auch wenn die Lage für die Medien tatsächlich höchst bedrohlich ist – so viel guter Journalismus wie heute wurde nie zuvor produziert!
Die entscheidende Frage ist: Wie können wir es noch besser machen, obwohl uns zunehmend das Geld fehlt? Da ist Kreativität gefragt. Ich würde jedenfalls gute Ideen unabhängig ihrer Herkunft neugierig prüfen. Sogar, wenn sie in ein paar Kapiteln im Jahrbuch formuliert wären.
Ein Ressortleiter der NZZ sagte mir vor gut 15 Jahren: „Wir publizieren nicht, was die Leser wollen, wir publizieren das, was wir für wichtig halten“. Ob das richtig oder falsch ist, weiss ich bis heute nicht. Es hat mich aber sehr beeindruckt.
Tja, Redaktoren wissen, was für ihre geschätzten Leser gut ist … Der Spruch ist (nicht nur bei der NZZ) authentisch, die Wahrheit ist: Die Leser wollen ein Produkt mit einem bestimmten Profil. Sie nutzen aber nicht immer alles, was sie wollen. Dazu Landmarks Lieblingsbeispiel: Ich fahre heute mit dem Zug, weil er einen Speisewagen hat. Ich esse dann aber doch nicht dort…
es könnte auch sein, dass es «den jungen» schlicht zu dumm ist, wenn einer jahr für jahr wissenschaftlich die these zurechtbiegt, dass früher alles besser war. in zeiten des wandels wollen «die jungen» vorausschauen und nicht das rad zurück drehen. vielleicht ist ja eben gerade das desinteresse «der jungen» an der arbeit von imhof der silberstreifen am horizon;)
Ich finde, Mario Schranz bringts auf den Punkt. Was nicht heisst, dass Philipp Landmark nicht zum Teil auch recht hat.
Was mich wundert, ist die Erregung, mit der man sich gegen die Kritik von Kurt Imhof wehrt. Wieso ertragen viele Journalisten Kritik so schlecht? Kritik, wenn sie einigermassen fundiert ist (und das ist Imhofs Kritik), bietet doch immer die Möglichkeit, sich zu hinterfragen und zu verbessern. Die Kritik von Kurt Imhof wird ja, soweit ich sehe, vor allem branchenintern wahrgenommen und diskutiert. Sie kostet also keine Leser.
Irgendwie scheint auch Frau Masüger die Studie nicht zu lesen. Dann wüsste sie nämlich, warum sich junge Journalisten nicht über die Studie aufzuregen brauchen: Diese schiesst nämlich, anders als Frau Masügers oberflächlicher Text, nicht gegen Personen, sondern gegen systemische Bedingungen, die der Qualität im Journalismus schaden.
Das Monstrum ist nicht unbedingt gut geschrieben, das könnte man sicher kritisieren, aber die Botschaft ist für Leute, die sich die Mühe machen, hinzuschauen, eigentlich klar: Nicht die jungen Journalisten sind hier in der Kritik, sondern die Verlage und die Entwicklung in den modernen Newsrooms, wo es um Tempo und Zahlen und Aufregung statt um Inhalte und Vertiefung geht – obwohl genug Geld vorhanden wäre für sehr viel mehr Gehalt.
Hallo „Schorsch Gaggo“,
War das „Frau“ vor dem Nachnamen von Andrea Masüger ironisch gemeint? Wenn nicht; Andrea Masüger kommt aus einem Sprachgebiet der Schweiz mit einer Lateinischen Sprache. Und dort steht „Andrea“ sowohl für Frauen wie für Männer.
Generell möchte ich als interessierter Aussenstehender anmerken, dass ich die ganze Diskussion so nicht verstehe. Würden alle Berufsstände auf Reporte wie den von Herrn Imhof reagieren wie es die schreibende Zunft gerade macht, hätten wir nur Konflikte. Man soll es so nehmen wie es ist, sich seine Gedanken machen und Schlüsse ziehen. Nicht der Report ist entscheidend, sondern was man als interessierter Leser und Verantwortlicher bei einem publizierenden Medium daraus macht.
Aus diesem Grund auch meine Replik an Andrea Masüger und alle Veteranen:
Nicht die Jungjournalisten müssten sich wehren, sondern deren Chefredakteure und alteingesessene Journalisten-Kollegen. Denn diese sind es, welche ihre Verantwortung als Vorbilder nicht ausfüllen und ihre potentiellen Nachfolger im Regen stehen lassen. Vielleicht denken die Veteranen darüber nach und ändern ihre Gewohnheiten und zeigen Rückgrat, bevor sie den Verfall der Jugend beklagen.
Damit eine Studie im Internet vernünftig besprochen werden kann, muss sie im Internet verfügbar sein. Im Idealfall in voller Länge, aber wenigstens so, dass man bis ins Detail nachvollziehen kann, was wie und unter welchen Bedingungen erforscht wurde, und was dabei herausgefunden wurde.
Ist das eine Studie nicht nachvollziehbar online, dann dreht sich die Diskussion um das Unbekannte und wird geführt von Ahnungslosen. Am Schluss kann man dann mit Fug und Recht behaupten, das Internet besitze keine Diskussionqualität. (Hint: weil die Grundlage fehlt!)
Die Foeg-Studien reizen mich nicht besonders, weil ich nicht recht vorstellen kann, dass sie besonders überraschende (oder nicht schon bis zur Totalerschöpfung diskutierte) Ergebnisse enthält. Aber wie soll die Allgemeinheit beispielsweise die aktuelle Roma-Journalismus-Studie (http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Die-schockierende-Studie-von-der-Journalisten-nichts-wissen-wollen/story/12910665) diskutieren können, wenn keinerlei einsehbare Grundlagen vorhanden sind? Wenn die Studie schon 470 Journalisten ihre Ergebnisse vorstellen will – warum denn nicht der Öffentlichkeit?
Mühsam aber immerhin oder: Hurra eine Debatte!
Es ist mühsam sich mit eigentlich respektablen Leuten auseinandersetzen zu müssen, deren Ressentiments den Geist so verblocken, dass sie auf die Person spielen statt Argumente auszutauschen. Ein neues Beispiel hierfür hat Andrea Masüger mit seiner Verschwörungstheorie geliefert, die a) mich dämonisiert (und damit zwangsläufig masslos überschätzt), b) alte kluge gegen junge und dumme Journalisten ausspielt und c) Scheinargumente verwendet.
Alte „Kritiker“ des Jahrbuches versus „junge Opferlämmer“ ist keine plausible Unterscheidung: Erstens ist nicht anzunehmen, dass die jungen Medienschaffenden, die sich an Listicles und Native Advertising abarbeiten, begeisterte Anhänger des Jahrbuches sind. Denn in aller Regel gilt: Wer solches (statt Journalismus) den ganzen Tag macht, muss für sich daraus einen Sinn abgewinnen oder aufhören. Zweitens werden junge Journalisten in neue rigidere Strukturen hineinsozialisiert, die für sie selbstverständlicher sind, als für die Altvorderen. Drittens muss bei jungen Journalisten, die sich gegen die Entwicklung stemmen, die Kilotonnage ihrer Zivilcourage wesentlich höher sein, als bei erfahrenen Kämpen, die sicherer im Sattel sitzen. Schliesslich widerspricht die Unterscheidung in ‚alt und kritisch’ versus ‚jung und apologetisch’ (gegenüber dem Jahrbuch) unseren Erfahrungen. Aus den genannten Gründen ist eher das Gegenteil der Fall.
Zu diesem Gegenteil gehört etwa auch Norbert Neininger, dem zuzuhören sich deshalb lohnt, weil er sich mit der ökonomischen Analyse wie mit der Qualitätsanalytik des Jahrbuches auseinandersetzt, während Andrea Masüger weder das eine noch das andere macht und zum Schluss auf etwas behauptet, was buchstäblich niemand bestreitet, nämlich dass es guten Journalismus gibt. Also ob der letzte gefangene Fisch in einem leergefischten Meer ein Gegenbeweis für die Überfischung wäre.
Masüger kombiniert nicht eine unplausible Verschwörungstheorie mit Scheinargumenten, weil er kognitiv beeinträchtigt wäre, er macht das wegen seiner Ressentiments. Oder positiv ausgedrückt: Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Freilich sind wir von Altpublizisten anderes gewohnt und eigentlich auch von CEOs von Medienunternehmen, von denen wir hoffen, dass sie analytisch denken. Dies würde bedeuten, Argumente gegen Argumente statt Empörung gegen Personen zu richten. Ersteres trägt zur nötigen Selbstreflexion in der Branche bei, letzteres nicht.
Ganz so kognitionsfrei textet Philipp Landmark nicht, obwohl auch bei ihm blockende Ressentiments evident sind. Er bezweifelt den „ideologisch gefärbten Massstab“ des Jahrbuches, stellt zwei Behauptung auf (und deklariert sie auch als reine Behauptungen), er will uns daran erinnern, dass die „mündigen Bürger“ entscheiden, was sie konsumieren wollen, er gibt seine Ressentiments preis („nervende pessimistische Grundstimmung“) und wünscht sich „kreative Lösungsvorschläge“ hinaus aus dem Malaise.
Zum „ideologisch gefärbten Massstab“ der vergleichenden Qualitätsanalyse, zum „mündigen Bürger“ und zu den „Lösungsvorschlägen“ kann man nun Stellung nehmen:
Mit ersterem liegt Philipp Landmark vollkommen richtig. Er kennt es offensichtlich nicht, aber wir geben uns im Jahrbuch Mühe, die Normen der journalistischen Berufskultur zu erläutern, die Massstab unserer Komparation sind. Sie entstammen dem Aufklärungsliberalismus, fanden von da aus über ursprüngliche Begriffe wie Universalismus, Objektivität, Ausgewogenheit, Relevanz etc. in allen Codizes der Berufskultur Eingang und sie sind bis heute unter Termini wie Vielfalt, Sachlichkeit, Eigenleistung, Quellentransparenz und natürlich auch Relevanz (zu der die Aktualität gehört) gültig.
Alle Professionen haben Berufsnormen, aber nicht alle Berufe können ihre Normen aus dem Aufklärungsliberalismus ableiten. Dem Aufklärungsliberalismus verdanken wir auch die zentrale Bedeutung einer freien Öffentlichkeit in der Demokratie. Daran sind die Privilegien wie die Qualitätsnormen des Journalismus geknüpft. Solche Qualitätsnormen bedürfen immer der Übersetzung in die Berufspraxis; und im Rahmen sozialwissenschaftlicher Vergleiche bedürfen sie einer präzisen Operationalisierung. Auch diese Operationalisierung begründen wir ausführlich im Jahrbuch. Uns alle im Jahrbuchteam würde es freuen, wenn Herleitung wie Operationalisierung dieser Berufsnormen Gegenstand der Debatte sein könnten. Dabei gilt es zu bedenken: Ob wir nun die Normen zu rigide oder zu weich operationalisieren, ist nicht so entscheidend. Zentral bei vergleichender Forschung ist, dass man gleich misst. Das machen wir und wir stellen dabei, neben vielem anderen, vor allem eine Abnahme der Einordnung, eine Zunahme der Softnews und eine immer grössere Abdeckung der Bevölkerung durch Medien fest, die nicht nur primär auf Softnews setzen und wenig einordnen, sondern auch denjenigen Medien ökonomisch – über einen marktaushebelnden O-Tarif – das Wasser abgraben, die sich an publizistischen Standards orientieren. Wir machen nun darauf aufmerksam, dass dies unter der Voraussetzung der Geltung des zentralen Werts moderner Gesellschaften, einer informierten demokratischen Selbstherrschaft, misslich ist.
Nun sind wir beim „mündigen Bürger“, den Philipp Landmark einfach voraussetzt. Genau dies macht der Aufklärungsliberalismus nicht. Im Gegenteil: Mündigkeit oder der Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ist Produkt öffentlicher Auseinandersetzungen, nicht ihre Voraussetzung (auch wenn dann die errungene Mündigkeit der öffentlichen Auseinandersetzung dienlich ist). Das ist bis heute auch zentraler Bestandteil der per se liberalen Totalitarismustheorien etwa bei Hannah Arendt. Aus den Katastrophen der Moderne haben wir gelernt, dass dies richtig ist. Gerade deshalb sollte weder die Nachfrage das publizistische Angebot noch das publizistische Angebot die Nachfrage vollständig bestimmen. Davon zeugen ungeschmälert harte Rechtsnormen wie Kinderschutzbestimmungen oder Pornographieverbote oder die Vorkehrungen gegen die Schädigung von Persönlichkeitsrechten etc.
Der Modulierung von Angebot und Nachfrage und der Bedingung der Ermöglichung einer informierten Demokratie sind nicht nur die Normen positiven Rechts, sondern auch die weicheren Berufsnormen des Journalismus gewidmet. Was der ‚Markt verlangt’ ist deshalb gerade nicht ein Qualitätskriterium des Journalismus (darauf verweist oben indirekt Martin Hitz), auch wenn dieser die Nachfrage mit berücksichtigen muss. Nun zeigt das Jahrbuch etwa auch, dass die optimierte Marktanpassung der Informationsmedien in der politischen Berichterstattung zu massiven Resonanzbegünstigungen derjenigen politischen Akteure führt, die lauter und provokativer als die anderen schreien und dass die kommerzielle Basis aus äusseren branchenunabhängigen wie aus inneren branchenabhängigen Gründen wegschmilzt. Auf dieser Basis weisen wir dann darauf hin, dass wir etwas dagegen tun sollten, wenn wir am Wert einer informierten Demokratie festhalten wollen. Wenn nicht, dann halt nicht. Mehr kann die Sozialwissenschaft nicht tun.
Damit sind wir bei den „kreativen Lösungsvorschlägen“, die sich durchaus im Jahrbuch finden. Vielmehr noch: Inzwischen haben sich auch Avenir Suisse und die Eidgenössische Medienkommission (EMEK) mit der Grundproblematik wegschmelzender Mittel in einer direkten, föderal gegliederten Demokratie mit kleinen Absatzräumen beschäftigt und Lösungsvorschläge gemacht. An dieser Reflexion sollten sich die Journalisten ‚informiert’ beteiligen, egal ob jung oder alt.
PS Bez. Ronnie Grob: Für seine journalistische Arbeit ist er eigentlich schon an Ergebnissen der Jahrbuchforschung interessiert, …. Na ja. Vor allem aber: Wir weisen nicht auf die Probleme der Gratiskultur im Informationsjournalismus hin und geben gleichzeitig das E-Book des Jahrbuches gratis ab (die ausführlichen Hauptbefunde allerdings schon). Auch Sozialwissenschaftler brauchen einen gefüllten Kühlschrank: http://www.foeg.uzh.ch/jahrbuch.html
Im Land der 140 Zeichen sind Seitenhiebe oft nur das: Seitenhiebe. Und da Kurt Imhof sich hier doch wieder mal recht ausführlich äussert, wollte ich meinen bisweiligen Seitenhieben ein paar Sätze mehr hinzufügen.
Die Kritik von FÖG und Imhof an der Tatsache, dass Ressourcen schmäler werden, teilt jeder Schweizer Journalist. Daran gibt es keinen Zweifel. Öffentlich darüber diskutieren, ist allerdings etwas anderes. Viele Journalisten sind fast dauernd in Prozesse eingebunden, diese Ressourcen neu zu verteilen und aus der neuen Situation journalistisch das Beste herauszuholen. Es sind in allen Redaktionen und Medienhäusern Verteilkämpfe im Gange. Nicht alle enden im Katzenjammer, und nicht immer ist die Folge eine journalistische Einbusse. Aber in den Zeitungsspalten und auf den Webseiten (bei der Behandlung des Jahrbuchs) mögen die Journalisten kaum darauf eingehen. Aus Loyalität zum eigenen Haus. Im Interesse einer konstruktiven Diskussion in diesem Haus.
Das mag Imhof und seine Mitarbeiter frustrieren: Wenn sie eine detaillierte Kritik an der Branche formulieren, auf die öffentlich wenig eingegangen wird. Warum wiederholt niemand das, was er einem doch unter vier Augen in der Zigarettenpause bestätigt? Nun, eben, siehe oben. Aber das sind Strukturdebatten. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist die Formdebatte der Medienkritik. Die empfinde ich als enorm kulturpessimistisch. Man kann es auch nostalgisch nennen, aber das kommt aufs selbe hinaus.
Ich teile Kurt Imhofs Verständnis von Mündigkeit. Auch als Boulevardjournalist glaube ich an die aufklärerische Aufgabe der Presse. (Selbstverständlich habe ich, als Boulevardjournalist, kein Problem mit der unterhaltenden Aufgabe der Presse.) „Mündigkeit oder der Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ist Produkt öffentlicher Auseinandersetzungen, nicht ihre Voraussetzung“, sagt Imhof. Finde ich auch. Aber ich empfinde den Weg, den Imhof vorschlägt, um Mündigkeit herzustellen, als zu eng. Ich werde den Eindruck nicht los, dass er sich an jenen Zeitungen orientiert, mit denen er aufgewachsen ist.
Aber warum sollen uns mehr Auslandkorrespondenten mündiger machen? Wenn wir doch zum Beispiel heute allgemein sehr viel schneller und besser und umfassender informiert sind über das Weltgeschehen als noch vor zehn Jahren? Warum sollen uns mehr Listicles, mehr Gifs, kürzere Sätze unmündiger machen? Im „Stürmer“ gab es keine Listicles, um mal kurz polemisch zu werden. Die Sätze waren ausführlich und wohlformuliert und die Bilder schwarz-weiss. Dafür wurde gelogen.
Denn das ist doch das Hauptkriterium für Medien: Lüge oder Wahrheit? Und das meine ich jetzt nicht als postmodernistische Spielerei. Jeder hat seine eigene Wahrheit, aber die Standards sind doch immer noch erstaunlich einheitlich. Ich glaube sehr wohl, dass die meisten Mitarbeiter von Fox News oder Russia Today wissen, dass sie lügen, verdrehen, manipulieren. Ich weiss, dass man den Boulevard gern in denselben Topf wirft, aber damit bin ich natürlich nicht einverstanden. Wir verkürzen und wir machen Fehler, aber wir lügen nicht.
Und so sehe ich Jahr für Jahr mit demselben Unverständnis, wie das Jahrbuch „Softnews“ von „vertiefter News“ trennt und dann auszählt. Dabei ist Softnews für mich und für meine Vorstellung von Mündigkeit an sich kein Problem – solange sie stimmt. Die journalistischen Formen ändern sich dauernd, aber in erster Linie nicht wegen fehlender Ressourcen, sondern wegen veränderter Kommunikationsgewohnheiten, wegen neuer Darstellungsmittel (Computer, Handy, TV sowieso). Ein Listicle herzustellen dauert kaum weniger lang, als einen etwa gleich langen Artikel zu schreiben. Natürlich sagt mir ein Listicle über Kochrezepte weniger über die Weltgeschichte als ein Listicle über historische Ereignisse, aber das, äh, versteht sich ja von selbst.
Was ich letztlich sagen will, ist: Die Kritik des Jahrbuchs hält sich viel zu sehr mit Formen und Strukturen auf. Wenn wir heute nicht mehr dieselbe Ressortstruktur, dafür Newsrooms haben, besagt das noch relativ wenig über Qualität. So banal das klingt: Es kommt drauf an, was diese Newsrooms dann herstellen.
Und noch zu Masüger: Tatsächlich habe auch ich den Eindruck, dass junge oder angehende Kollegen die Nostalgie für frühere, „klassischere“ Medien teilen – und die Abneigung gegen alles Softe, Verspielte, Banale. Von denen bekomme ich dann die Imhofsche Kritik mit besonderem Gusto um die Ohren gehauen. Aber wahrscheinlich ist dieser heilige Eifer gegen alles „Unernste“ das Privileg der Jugend. Dass er mich nicht mehr beseelt, werden viele als Fluch empfinden. Ich bin ganz erleichtert darüber.
Omerta, Unmündigkeit, 5te Kolonne bei Ringier und Unterhaltung:
Lieber Thomas Ley
Ihre Quotes sind richtig „behaftungswürdig“!
Bezüglich Strukturdebatte:
Dass interne Debatten intern bleiben sollen, leuchtet ein. Allerdings hat die Kluft zwischen den off the record statmentes von Journalisten und ihren offiziellen Aussagen über die Lage im Journalismus die Ausmasse eines Canyons angenommen. Die Kehrseite dieser „Omerta“ in der Berufskultur ist die mangelnde Selbstreflexion der Branche. Ausserdem zeugt sie von einer gesellschaftlich höchst unerwünschten Unfreiheit der Journalisten in und gegenüber ihren Häusern. Ausgerechnet diejenigen also, die funktional für die Herstellung von Öffentlichkeit in der Demokratie zuständig sind, verhalten sich gegenüber den Bedingungen ihrer Berufsausübung und damit ihrer gesellschaftlichen Funktion wie kranke Austern! Das ist nicht gut, schon gar nicht für die Branche.
Trägt der Boulevard zur Mündigkeit bei?
Knackiges Thema, vor allem weil Thomas Ley darauf beharrt. Wenn wir die Funktion des Journalismus auf die Aufdeckung von Missständen beschränken, dann durchaus. Hier stellen sich einerseits Wahrheitsfragen (auf die Thomas Ley soviel wert legt) sowie andererseits Fragen der normativen Angemessenheit und Richtigkeit des Handelns eines Protagonisten. Nun ist aber erstens das Aufdecken von Missständen klassischen Typs gerade nicht die Stärke des aktuellen hiesigen Boulevards. Dazu fehlt ihm die Recherchekapazität. Stattdessen verlegt er sich auf sein Kerngeschäft. Dies heisst Wahrheitsfragen und Fragen der normativen Richtigkeit von Handlungen der möglichst zugespitzten moralisch-emotionalen Etikettierung unterzuordnen (etwa: „Grüsel-Lehrer“). Dies setzt einen glasklaren Täter-Opfer-Gegensatz voraus. Auf keinen Fall Graubereiche bzw. Differenzierungen, das bringt den Boulevard um! D.h. vom Boulevard Differenzierungen in Wahrheitsfragen (Sachverhaltsdarstellungen, Ursache-Wirkungseffekte) oder bei Fragen der normativen Richtigkeit von Handlungen zu verlangen, wäre unmittelbar geschäftsschädigend. Dies hat zur Folge, dass alle Fassetten von Sachverhalten und normativen Ambiguitäten weggelassen werden müssen, damit die möglichst harte, weil publikumswirksame moralisch-emotionale Etikettierung einer Person nicht unplausibel wirkt.
Das ist das Prinzip des Handwerks bzw. das Geschäftsprinzip und dieses opponiert in seinem Kern der Vernunft, die davon lebt, Wahrheitsfragen bezüglich Sachverhalten und Fragen der normativen Richtigkeit gegenüber Sozialverhalten differenziert zu beurteilen. Dazu kommt dass moralisch-emotionale Aussagen nur im Nahbereich von Gemeinschaften gemäss ihrer Wahrhaftigkeit beurteilt werden können. Liebeserklärungen etwa haben einen ganz anderen Status als Sachverhaltsaussagen. Während Sachverhaltsaussagen geprüft und diskutiert werden können, sind erstere auf den Glauben an die Wahrhaftigkeit des oder der Liebe-Erklärenden angewiesen; ein Glauben der sich nur im Rahmen vertrauter Beziehungen einstellen kann. Um dasselbe handelt es sich bei moralisch-emotionalen Urteilen über Dritte. Der Glaube an deren Wahrhaftigkeit ist an die Erfahrungsbestände von Nahebeziehungen geknüpft. Zum Handwerk des Boulevards gehört nun nicht nur Wahrheitsfragen und normative Fragen derart zu verkürzen, dass das moralisch-emotionale Urteil gerechtfertigt erscheint, sondern das Geschäftsmodell lebt zusätzlich vom systematischen Kategorienfehler moralisch-emotionale Urteile, die vernünftig nur im Nahbereich von Vertrautheitsbeziehungen in Gemeinschaften gemäss ihrer Wahrhaftigkeit beurteilt werden können, auf die Ebene von gesellschaftlicher, öffentlicher Kommunikation zu heben, wo sie gerade nicht beurteilt werden können. Dazu kommt schliesslich, dass das gepefferte moralisch-emotionale Urteil des gelungen Boulevardartikels keineswegs den Wahrhaftigkeitsansprüchen des Verfassers geschuldet ist, sondern vielmehr den professionellen Ansprüchen der Reichweiteoptimierung. Damit verstösst Boulevardjournalismus, sorry Thomas Ley, gleich dreifach gegen die Vernunft: 1. Bewusste Auslassungen und Vereinseitigungen hinsichtlich der Wahrheit einer sachgerechten Darstellung wie der normativen Richtigkeit und Angemessenheit des Handelns von kolportierten Protagonisten im Licht eines möglichst gepfefferten moralisch-emotionalen Urteils in der Titulatur; 2. Systematischer Kategorienfehler bezüglich emotionaler Aussagen im öffentlichen Raum, die systematisch den Nahbereich von Vertrautheitsbeziehungen brauchen, um auf ihre Wahrhaftigkeit validiert werden zu können und 3. Systematischer Verstoss gegen das Gebot der Wahrhaftigkeit zu Gunsten des zweckrationalen Kalküls der Reichweite. Ein Titel wie „Grüsel-Lehrer“ ist nicht der wahrhaftige Ausdruck der subjektiven Empfindung des Titelmachers, sondern ein in der Profession verankertes Geschäftskalkül.
Insofern Thomas Ley, nein, Boulevard dient in aller Regel nicht der Vernunft, sondern dem Geschäft und beides ist leider beim Boulevard nicht deckungsgleich. Das wissen die Boulevardjournalisten und deshalb hadern sie auch mit ihrem Status gegenüber den ‚anderen Journalisten’ und umgekehrt lassen die ‚anderen Journalisten’ dies die Boulevardjournalisten wissen. Allerdings kaprizieren sich viele dieser ‚anderen Journalisten’ immer stärker auf die Techniken des Boulevards, die Differenz schwindet unter dem Diktat der Reichweite. Weil dies so ist erhöht sich die Glaubwürdigkeit des Boulevardjournalismus. Die erfahrenen Rezipienten des Boulevard wissen noch um seine Techniken, für sie ist Boulevardjournalismus deshalb Unterhaltung, d.h. sie konsumieren ihn cum grano salis oder: man muss ihn nicht so ernst nehmen. „Blut läuft unten aus dem Blick raus“, lautete früher ein geflügeltes Wort. Mit der neuen Allgegenwart des Boulevardjournalismus verliert sich diese Unterhaltungserwartung beim Konsumenten, der Boulevard wird heute viel ernster genommen als er ist. Als Unterhaltungsformat hat der Boulevard seine Berechtigung, wenn er aber den Anspruch erhebt zur Mündigkeit beizutragen – nicht.
Ich weiss das ist zu ausführlich, aber wenn sich Thomas Ley die Mühe nimmt den Boulevardjournalismus ebenso generell wie kühn dem Aufklärungsliberalismus unterzuordnen dann ist eine Antwort allein schon wegen der 5ten Kolonne der jungen ‚jahrbuchaffinen’ Journalisten bei Ringier nötig.
Zu dieser 5ten Kolonne junger jahrbuchaffiner Journalisten bei Ringier
Es ist toll, dass es Euch gibt! Allerdings: Wenn ihr bleibt, dann führt den Boulevardjournalismus dahin zurück wo er herkommt, zur Unterhaltung, das brauchen wir! Dann macht er wieder einen klaren Unterschied und gewinnt an Profil. Ein Boulevard der aufklären will, dies aber systematisch nicht kann, machen nun viele andere auch. Dieser Boulevard vernebelt nur die Köpfe.
von herr masüger jedes jahr die gleiche platte. wenig tiefgang, viel gejammer. für einen alten medienhasen eher peinlich.
von herr ley möchte ich zu gern wissen, wo er im boulevard und insbesondere in seinem blick den aufklärerischen teil seines medienerzeugnisses sieht.
@Bugsierer: Lesen Sie denn den Blick? Sonst wird das leicht schwierig. Ich mag eigentlich nicht auf einer Webseite namens Medienspiegel Artikel aufzählen. Und wenn Sie bis jetzt keinen aufklärerischen Ansatz in unserer Arbeit entdecken, werde ich Sie mit einer noch so langen Liste nicht vom Gegenteil überzeugen können.
Nur soviel: Unsere Grundhaltung, so wie ich sie gelernt habe und weitergebe, ist: erzähle nicht nur, sondern erkläre auch – und erkläre lieber einmal zuviel als zuwenig. Das empfinde ich schon fast als im Wortsinne aufklärerisch.
ich blättere den blick nur noch durch, wenn er rumliegt. es ist mir einfach zu viel dreck drin. aber ich hatte ihn lange lange gelesen, ein bis dreimal pro woche, aus beruflichen gründen, um im (medien)bild zu bleiben.
einen aufklärerischen ansatz konnte ich im grossen und ganzen nie erkennen. der alte übersax hat mal gesagt, wir könnten die tamilen aus dem land schreiben, tun wir aber nicht. frau ringier war glaubs dagegen. ist das jetzt schon aufklärerisch?
nennen sie doch einfach mal drei aufklärerische artikel der letzten drei tage.
Also, was wir z.B. eingeführt haben seit Übersax sind farbige Bilder. Den Rest der Denkarbeit mag ich Ihnen nicht abnehmen.
sie reden sich mit der zynismuskeule raus und bestätigen bilderbuchmässig das vorurteil, dass boulevardschurnis ihren job langfristig nur mit zynismus aushalten können.
aber ehrlich gesagt hätte es mich auch gewundert, wenn sie jetzt einfach mal drei aufklärerische artikel aus ihrem blatt genannt hätten.
> Thomas Ley Eine Schlagzeile wie «SRF nimmt uns die Schweiz weg» ist das pure Gegenteil eines «aufklärerischen Ansatzes». Solche Schlagzeilen klären nicht auf, sondern sprechen nur niedere Instinkte an. Das ist brandgefährlich, vor allem im aktuellen dumpfen Politkklima. Ich unterstelle dir, dass du das genau weisst.
Ich habe keine Ressentiments, lieber Kurt. Ich halte es grundsätzlich wie Du mit „Hurra, eine Debatte!“, und wir pflegen das auch bei uns im Blatt und online: Wir setzen uns öffentlich mit der Kritik auseinander. Dazu Links zu Artikeln und Kommentar von Rolf App zum aktuellen Jahrbuch:
http://tinyurl.com/lrbp2s8
http://tinyurl.com/mz5qfu6
http://tinyurl.com/n3gqlbm
Wir nehmen die Kritik zur Kenntnis – und sind grundsätzlich auch froh darum. Aber wir nehmen nicht jede Facette der Kritik widerspruchslos hin, vor allem dann nicht, wenn Grundlage der Kritik ein wirklich gefärbter und deshalb diskutabler Massstab ist.
Aus meiner Sicht unbestritten: Der nachhaltige Mittelentzug macht praktisch allen Redaktionen schwer zu schaffen. Das ist, in erster Linie in Form von Ausdünnungen, durchaus auch qualitativ sichtbar. Was ich aber eine erstaunliche Leistung der Schweizer Medienbranche finde: Gemessen an den horrenden Summen, die weggestrichen wurden, ist die qualitative Einbusse erstaunlich klein. Das wäre natürlich noch zu verifizieren – vielleicht einmal eine interessante Teilfrage für Forscherinnen und Forscher? Fand eine „Konzentration auf das Wesentliche“ statt, wie wir Zeitungsmacher selbstverständlich behaupten, oder haben wir tatsächlich Unverzichtbares über Bord geworfen?
Wäre ich der Boulevard-Kunst mächtig, würde ich einen zentralen Punkt der Jahrbuch-Kritik so zuspitzen: „Weil die denkfaulen und unterbezahlten Journis nur noch industrielle Unterhaltung produzieren, gewinnt die SVP Wähleranteile.“ Ich weiss, das Jahrbuch argumentiert etwas differenzierter. Aber das ist es, was beim Empfänger ankommt.
Nun, ich versuche nochmal, eine Brücke zu bauen: Selbstverständlich erachtet es unsere Redaktion als vordringliche Aufgabe, diejenigen Informationen und Einordnungen zu liefern, die unsere Leserinnen und Leser als (ja, Kurt:) mündige Bürgerinnen und Bürger brauchen. Ganz aufrichtig: Ich bin wirklich davon überzeugt, dass dies heute besser passiert als vor 25 Jahren – weil es uns gelingt, die Menschen für Themen aus Politik und Gesellschaft zu interessieren. Was eben nicht bedeutet, dass der Gehalt der Artikel kleiner oder das Niveau per se tiefer ist, und auch nicht dass wir die Terminologie politischer Schreihälse übernehmen. Aber das dürfen gerne auch andere beurteilen.
Frei nach der Angler-Weisheit „der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer“ eine kleine Denkübung: Was würde passieren, wenn wir die wichtigen Themen nach alter Väter Sitte abhandeln würden? Könnten wir mehr Leute für wichtige politische fragen interessieren? Würden wir jene erreichen, die für oft allzu einfache politische Botschaften empfänglich sind?
Lieber Philipp
Bezüglich des Verhältnisses zwischen der Kürzung der Mittel und qualitativen Einbussen:
Gemessen am finanziellen Aderlass des Printjournalismus würde ich Deine Einschätzung teilen, dass wir es nicht mit einer 1 : 1 Korrelation zwischen Ressourcenabbau und der Menge wie der Qualität des journalistischen Outputs zu tun haben. Ohne Zweifel ist der Arbeitsdruck in dieser Strukturkrise gestiegen. Immerhin lässt sich das auch in Branchen beobachten bei der die Beziehung von finanziellem Input und Arbeitsoutput (bzw. Arbeitseffizienz) leichter zu messen ist.
Allerdings ist die qualitative Einbusse nicht klein. Gerade bei redaktionellen Eigenleistungen und der Einordnung ist der Rückgang nachhaltig. Alles kann man mit weniger Personal nicht machen.
Bezüglich Konzentration auf das Wesentliche:
Wenn Du Dich auf das „Wesentliche“ beziehst, dann haben wir es mit Relevanz zu tun. Hier haben wir wiederum ‚im Wesentlichen’ zwei relevante Resultate: 1. Mehr Softnews also overall weniger Relevanz. 2. Starke Angleichung der Themenagenden über die Zeit, also weniger Themenvielfalt im Vergleich der Informationsmedien oder andersrum: Es wird zunehmend dasselbe thematisiert. Das könnte man natürlich als Konzentration auf das Wesentliche auf Kosten der Vielfalt interpretieren. Guckt man aber genauer hin, dann handelt es sich hierbei ausgeprägt um „Medienhypes“ aus ursprünglich typischen Boulevardthemen (was wiederum den Boulevard bedrängt). D.h. die Distinktion zwischen Themen der Abonnementspresse und des öffentlichen Rundfunks auf der einen Seite und Themen der Boulevard- und Gratisangebote ist deutlich kleiner geworden. Die thematische Eigenlogik des Mediensystems ist gewachsen, d.h. das was als relevant erscheint, wird innerhalb der Medien viel stärker durch die Agenda der anderen Medien bestimmt.
V.a. die Angleichung der Agenden der Abopresse und der Boulevard- und Gratispresse (stark durch die Onlinenewssites getrieben) ist eine Krux hinsichtlich der Profilierungsstrategie (und wird m.W. intern wenig diskutiert).
Bezüglich denkfaule Journis:
Das ist die These der SVP hinsichtlich des aktuellen journalistischen Personals einerseits und mit Bezug auf „faule“ der Journalisten der 1980er und 90er Jahre von Teilen des Managementpersonals der Medienunternehmen andererseits. Beide Thesen haben wir nie geteilt, allein schon weil sich die Kategorie „faul“ sinnvollerweise nur auf eine subjektive Befindlichkeit oder auf Individuen im direkten Vergleich anwenden lässt.
Bezüglich asymmetrische Resonanz der Parteien:
Die auffallende Überrepräsentativität der SVP in allen Informationsmedien (im Schnitt 37% 2013 bei 25.6% Wahlerfolg 2011) – wenn auch mit Abstand am meisten in Blick und blick.ch mit 48 bzw. 49% aller Parteinennungen – hat entsprechend kaum seinen Grund in der Faulheit der Journalisten. Es handelt sich um die journalistische Honorierung des Provokativen, des besser Personalisierbaren und des Konflikts. Ist also durch journalistische Nachrichtenwerte gesteuert, die sich an Reichweitenerwartungen orientieren. Die Boulevardisierung der Medien beflügelt die Boulevardisierung des Politischen und umgekehrt. Dies bedeutet, dass die anderen Parteien nachziehen müssen. Auf jeden Fall könnte man nur als SVP-Mitglied aus Überzeugung sagen, dass dies einer Konzentration auf das Wesentliche entspreche.
Bezüglich Brücke:
Wir werden durch solche Vergleiche Parteipresse/Forumspresse immer wieder in Versuchung geführt, die Parteipresse gegen das Image ihrer Langweiligkeit zu verteidigen. Das führt dann dazu, dass man dem Jahrbuch vorwirft, es würde insgeheim ein goldenes Zeitalter der Parteipresse gegen die aktuelle Medienlandschaft favorisieren. Das ist nicht der Fall und wäre eine unmögliche Position, denn es handelte sich um eine ganz andere Medienära: Da stoben die Funken in leidenschaftlichen weltanschaulichen Auseinandersetzungen, die alten Väter setzten Wortkriege in Blei – langweilig war dies nicht. Aber weil es eine andere Presselandschaft war, sind wir keineswegs Anhänger der alten Parlamentsprotokolle, die damals bloss den Hintergrund der ideologischen Auseinandersetzungen bildeten. Das gehörte eben jener Zeit an. Journalismus muss auf andere Weise leidenschaftlich und interessant sein.
Es ist gut, dass Du der Überzeugung bist, dass es besser gelinge, die Leute für Politik und Gesellschaft zu interessieren. Man braucht ja auch Motivation. Was wir hierüber wissen können, beschränkt sich im Wesentlichen auf den Jungendbarometer. Da sieht es nicht danach aus …
Selbstverständnis? Berufsehre? Zur desolaten Situation, lieber Herr Masüger, gehört ja gerade, dass viele junge Journalisten sowas gar nicht mehr haben. Wer primär Unterhaltung produzieren muss, entwickelt auch keinen journalistischen Berufsethos. Was sie verwundert, ist also eine Folge dessen, was sie partout nicht wahrhaben wollen.
> Andrea Masüger: Dass die Qualität der Zeitungen nachlässt, ist nicht Kurt Imhofs Behauptung, sondern «wir älteren Journalisten» wissen das. Und die Verlagsmanager kennen sehr genau das Verhältnis zwischen (sinkendem) Personalbestand und (steigender) Produktivität. Mit weniger Personal kann niemand eine bessere Zeitung machen. Dass dennoch weiterhin Arbeiten für den Journalistenpreis eingereicht werden, ist doch kein Gegenbeweis.
> Philipp Landmark: Qualität hat nichts mit Ideologie zu tun. Als Journalist weisst du sicher, dass es ausser «personalisierten Story» und der «protokollartigen Zusammenfassung einer Parlamentssitzung» noch x weitere journalistische Formen gibt. Es gibt doch nicht nur die Wahl zwischen Boulevard und schlechten Lokalblättchen. Dass die Zeitgenossen «bessser informiert» seien, kannst du schon behaupten. Aber fröhliche Behauptungen bringen die Debatte nicht weiter. Es gibt keine Anzeichen, dass deine Behauptung zutrifft, im Gegenteil. Je mehr Leute nur noch 20Minuten lesen, umso häufiger werden wir Bauchentscheide wie die Zustimmung zur MEI erleben.
> Philipp Meier: Das «Desinteresse der Jungen an der Arbeit von Imhof» ist eine dreiste Behauptung. Nur weil «die Jungen» nicht scharenweise die Kommentarspalte des Medienspiegels füllen, heisst das nicht, dass sie sich nicht für die Qualitätsdebatte interessieren. Qualität ist nicht ein Ding der Vergangenheit. Und Katzenvideos sind nicht die Garantie für eine leuchtende Zukunft.
> Thomas Ley: Der Einsatz für Qualität ist weder nostalgisch noch kultur- oder sonst wie pessimistisch. Qualität war gestern nötig, ist heute nötig und auch in Zukunft. Mehr Auslandkorrespondenten machen uns mündiger, weil wir mehr wissen. Gifs machen uns unmündig, weil sie uns das Hirn verkleben mit bunten, flackernden Bildern. Und Boulevardmedien unterschlagen immer wieder wichtige Informationen, um das Publikum zu erregen. Zum Beispiel beim Fall Carlos oder beim Fall Hagenbuch. Auch das macht unmündig – und es ist das Gegenteil von Aufklärung.
@ Kurt Imhof: Prüfen Sie eigentlich in Pretest jeweils die Intercoder-Reliabilität? Gewähren Sie interessierten Studenten Einblick in die Codierungsbögen?
Naja, das hat nicht lange gedauert. Es läuft ja meistens auf eine Boulevard-Schelte hinaus; im Übrigen, unterschwellig und überdeutlich, auch im Jahrbuch. Das ist für uns Boulevardjournalisten ein kleineres Problem als für die Qualitätsjournalisten (ein Ausdruck, den ich nur mit einem „so genannt“ versehe, wenn ich sauer bin; wieso auch nicht, ich habe ja auch kein Problem mit dem Begriff „Boulevard“).
Das mit der Omerta ist Quatsch. Aber ich mag jetzt nicht einfach nochmal wiederholen, was ich oben geschrieben habe. Ausser, ganz kurz: Die Branche ist im Umbruch. Manches kann man öffentlich besprechen, manches nicht. Das hat mit Verschweigen gar nichts zu tun, sondern ist das Normalste von der Welt.
Aufklärung: Gut, dass ich Sie so frech zitiert habe, war fies von mir, gell? Das ist halt so meine Art. Aber ich meine es wirklich so. Sie berühren die Grundfrage, warum es Medien überhaupt gibt oder geben sollte. Und das beginnt für mich ganz grundsätzlich bei den bürgerlichen Revolutionen des Westens: Einher mit dem Einfordern der Menschenrechte ging immer die Herstellung völliger Pressefreiheit. Und umgekehrt macht ein vernünftiger Diktator immer als erstes die Presse zu. Interessanterweise machen die Despoten da wenig Unterschiede zwischen Boulevard und Quality…
Ich kenne Boulevard- und Qualitätsmedien beide von innen. Keine Angst, ich werde niemanden mit meinem Lebenslauf langweilen, aber in gut 20 Jahren Berufstätigkeit war das Verhältnis Boulevard/Quality bei mir genau fifty/fifty. Dabei ist mir aufgefallen, dass Ihre – in der Tat ausführliche und aufbewahrungswürdige – Kritik am Boulevard auf Medien generell anwendbar ist. Sie umreissen Probleme und Gefahren, die jeden Journalisten umtreiben sollten.
Und warum sollte ich das nicht so sehen? Warum könnte ich sonst vom Blick zu Facts, vom Tagi zum Blick wechseln? Klar, man kann mir auch einfach jegliche Berufsethik absprechen, dann ist diese Vorstellung einfach. Und ich nehme an, die meisten Leser dieser Zeilen tun das auch. Bitteschön. Falls man mir aber ein Minimum an Berufung und Aufklärungsanspruch unterstellt (versuchen Sies mal, ich schreib hier sogar Nebensätze, Herrgott!), dann geht das nur, wenn man mir abnimmt, dass ich die Grenzen zwischen den verschiedenen journalistischen Formen fliessender sehe als z.B. Sie, Herr Imhof.
Und zwar verschwimmen diese Grenzen nicht erst, seit Sie das Jahrbuch machen. Seit die Einnahmen der Branche einbrechen. Seit es Gratiszeitungen gibt. Seit die „Erbsenzähler“ in den Verlagen regieren. Kurz: seit etwa, was?, 1998? Nein, ich sehe die Grenzen auch davor fliessender. Es ist auch nicht so, dass nur der Boulevard die anderen Medien beeinflusst und sie angeblich verdirbt. Es ist umgekehrt auch so, dass Normen der Qualitätspresse den Boulevard verändert haben. Ein Blick à la Übersax wäre heute undenkbar und nach meiner festen Überzeugung auch ein schlechtes Geschäft. Wie uns übrigens verdankenswerterweise die Weltwoche vorführt, die sich Übersaxscher Mechanismen bedient und zu einem geschäftlichen Randphänomen geschrumpft ist.
Aber auch der Blick (nicht die Zeitung) über die Grenzen und weiter zurück zeigt, was sich hier alles verändert hat. Die „Yellow Press“ der 20er- oder 30er-Jahre in den USA oder GB war in geradezu anarchischer Weise bösartig – und hat sich unter dem Einfluss der erneuerten seriösen Zeitungen und Magazine nach dem Krieg verändern müssen. Was nichts daran ändert, dass Heinrich Böll noch 1974 ein eindringliches Buch schreiben konnte und musste.
Doch mit Fragen von Wahrheit und Lüge, von Ausführlichkeit und Weglassung, von Subjektivität und Neutralität musste und muss sich die g e s a m t e Presse beschäftigen. Schon immer. Schon seit Jean-Paul Marats Revolutionszeitung „Ami du Peuple“ (einem Hetzblatt vor dem Herrn). Das ist meine feste Überzeugung. Und wenn das so ist, dann haben auch wir Boulevardjournalisten unseren Anteil an der Aufklärung und müssen uns den entsprechenden Ansprüchen an uns selbst stellen. Die Idee, Herr Imhof, dass man den Boulevard (wieder?) reduzieren könnte auf eine rein unterhaltende Form, die sich bloss mit Grüsel-Lehrern und dem britischen Königshaus beschäftigt, ist absurd. Ich möchte jetzt hier nicht noch unhöflich werden, aber wenn man auch nur ein bisschen etwas weiss über die Geschichte des Blick und über die Pressegeschichte allgemein, dann verstehe ich nicht, wie man auf so eine Idee kommen kann. Ausser man meint es rein polemisch. Dann bitte. (Es gibt in den USA solche Blätter: Sex, Aliens, Serienkiller – alles erfunden, reine Satire. Superlustig. Wer uns mit denen gleichstellt, mit dem kann ich nicht mehr weiterdiskutieren.)
Äh, und dann noch die „5. Kolonne“. Da weiss ich jetzt echt nicht, worauf und auf wen Sie anspielen. Bezieht sich das auf irgendwas, das ich oben geschrieben habe? Oder auf Leute, mit denen Sie geredet haben? Jedenfalls ist die Metapher genauso misslungen wie jene der Omerta. Vielleicht bin ich hoffnungslos naiv oder korrumpiert, aber ich empfinde die Blick-Gruppe weder als Mafia noch als Terror-Regime. Falls es bedauerlicherweise Kollegen bei uns gibt, die das anders sehen, dann hoffe ich von Herzen, dass es ihnen bald gelingt, die Berliner Mauer zu überwinden und bei einem anderen Medium ihren Frieden zu finden.
Ich möchte jetzt nicht unhöflich werden, aber der Blick hat eine Reihe von journalistischen Taten auf dem Kerbholz, die dazu beigetragen haben, Stimmung zu machen auf dem Buckel von Menschen, die das nicht verdient haben. Darf ich dich, Thomas Ley, erinnern an die katastrophale Carlos-Kampagne? Hier wurde auf einem Menschen, der am Rand der Gesellschaft steht, herumgetrampelt auf eine grauenerregende Art. Oder darf ich dich an die «Sozial-Irrsinn»-Kampagne erinnern? Wieder machte der Blick Stimmung gegen Unterprivilegierte. Und zwar immer unter Weglassung von wesentlichen Fakten. Aufklärung bedeutet, dass man Tatsachen darstellt und Zusammenhänge herstellt – nicht, dass man polemisiert unter Weglassung eines grossen Teils der Wahrheit. Wenn du dann behauptest, es gebe eigentlich kaum mehr einen nennenswerten Unterschied zwischen dem Blick und dem Tagi, dann muss ich dich daran erinnern, dass der Tagi dazu beigetragen hat, die Fakten in die richtigen Zusammenhänge zu rücken – indem er gezeigt hat, dass Carlos mitnichten ein Luxusleben führt (wie der Blick behauptet hatte), oder indem er gezeigt hat, dass die Kosten in Hagenbuch mitnichten derart exzessiv sind, wie der Blick das insinuiert hatte. Die Arbeit des Tagi verdient es, aufklärerisch genannt zu werden.
Dass ein leitender Blick-Mitarbeiter seine Zeitung verteidigt, liegt auf der Hand. Aber von Aufklärung zu sprechen, mutet zynisch an.
Dazu ist einfach schon zuviel geschrieben und gesprochen worden. Wenn es hier nur um Carlos ginge, wäre ich dieser Webseite ferngeblieben. Nur soviel: Der Tagi war mit uns in Sachen Carlos weitgehend einig, mit Ausnahme einer Redaktorin, die zu dem Fall eher wenig schrieb. Und die „Sozial-Irrsinns“-Artikel (es war keine Kampagne) griffen Fälle auf, die davor im Tagi oder der AZ standen. Und sie machten nicht Stimmung gegen Sozialhilfebezüger, sondern griffen Tatsachen auf, die man legitimerweise als Fehlentwicklungen oder Probleme sehen kann.
Aber weisst Du, Andreas, Du liest den Blick doch gar nicht. Du rezipierst ihn nur gefiltert durch Twitter oder Facebook. Wir haben auch den Papst zu früh sterben lassen und schrieben in den 80ern gemeines Zeug über die Lederjacken von Tamilen. Übrigens, zum SRF: Lies den Artikel mal, nicht nur das Plakätli.
Es stimmt nicht, was du behauptest, Thomas Ley. Der Tagi war überhaupt nicht einig mit der Carlos-Hetze des Blick. Es war das Verdienst des Tagi, dass er schon bald nach dem Blick zeigte, dass das Sondersetting nicht so teuer war und dass die Rückfallgefahr erwiesenermassen geringer ist, alles unter dem Strich sogar noch billiger als ein Knastaufenthalt bei Brot und Wasser.
Die Kampagne (es war eine) gegen den sogenannten «Sozial-Irrsinn» hat ebenfalls Kraut und Rüben und Gerüchte gemischt und keinesfalls über die puren Fakten aufgeklärt. Seriöse Medien haben nachher die «Drecksarbeit» geleistet und – wie bei Carlos – gezeigt, dass die Zahlen nicht stimmten, die in der Boulevardpresse herumgeboten worden sind.
Du kannst auch gar nicht wissen, was ich lese, Thomas Ley. Nur so unter uns: Der Blick liegt ganz ungefiltert bei uns auf der Redaktion. Und wenn der Blick besonders wüst Stimmung macht gegen Randgruppen, lese ich ihn sogar. Man muss ja informiert sein.
Wie Kurt Imhof finde ich: Unterhaltung ist OK – aber das als «Aufklärung» verkaufen zu wollen, ist anmassend. Der Blick macht des öftern Stimmung gegen sozial Schwache, die nachher die SVP dankbar aufgreift. Damit macht der Blick ganz direkt Politik. Aber eben – nicht auf aufklärerische Art, sondern mit gezielter Stimmungsmache. Das hat dann auch nichts mehr mit dem traditionellen Ziel des Boulevard, der Unterhaltung, zu tun.
Man sieht uns jetzt offenbar als wichtigen Bestandteil des Schweizer Unterhaltungswesens. Immerhin.
Sooft ich mich unter Studenten an der Hochschule beim Thema Zeitungen umhöre, wird die Qualität des Journalismus bemängelt. Es handelt sich um Leute, die auf irgendeinem Fachgebiet tätig sind und merken, wie die Journalisten darüber nur noch uninformiertes Zeugs schreiben. Das ist die Wahrheit. Es geht hier eigentlich nicht mehr um Boulevard contra Hochgestochenes, sondern um Fachkenntnisse versus Allrounder-Boulevard. Speziell beim Tagesanzeiger scheint man ja noch darauf stolz zu sein, indem man gegen Doktortitel und Akademiker (erinnern Sie sich noch an die Kampagne gegen Christoph Höcker?) schiesst.
Das zeigt eigentlich nur, dass hier Leute mangels eigener Kompetenzen es auf andere abgesehen haben, die mehr wissen als sie, und ein Distinktionsmerkmal kultivieren, das bloss auf „meh Dräck“ rausläuft. Dies ist gerade das Armutszeugnis des heutigen Journalismus, der dann auf unsere Kosten via Werbegelder auch noch seine libertäre Ideologie verbreitet und die Menschen auf den Konsum abrichtet, wie die zahlreichen Artikel von der Kino-Agenda bis zu den Auto-Seiten („Probefahren“) beweisen. Zu diesem Problem hat Herr Masüger nichts zu sagen, denn er verbarrikadiert sich in seinem Newsroom-Elfenbeinturm, in dem er sich auf Herrn Imhof und co. fixiert. Was die Leser von euren Erzeugnissen halten, interessiert euch nicht mehr. Oder interessiert euch vielmehr nur in der Hinsicht, dass ihr mehr verkaufen und Werbung machen könnt.
Man sieht im übrigen auch an diesem Artikel, wie das System Tamedia (analog zur Weltwoche) funktioniert:
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Sie-sind-dann-mal-weg/story/26717936
Das Akademikerpaar Sarasin wird von den Journalisten zuerst so fertiggemacht, wie man es nur aus Unrechtsregimes kennt, wo man unliebsame Störenfriede politisch ins Visier nimmt. Man benutzt sie – so hier die feinen Herren Edgar Schuler und Thomas Widmer – unter dem zynischen Vorwand der „Guten Besserung“ als Zielscheibe des Spottes, indem man die Kommentarschreibwerkstätten der Rechtskonservativen gegen die Vorgaben der Netiquette freischaltet und aus Grossraumbüros „liken“ lässt. Dieses perverse Spiel wird von uns dummen Konsumenten, die wir noch die Werbung für diese „Gratisblätter“ via Aufpreis auf Produkte quersubventionieren, unfreiwillig unterstützt.
Am besten wäre es, Portale, die solche Hetzkampagnen fahrlässig oder gezielt zulassen, gleich ganz zu verbieten und abzuschalten. Mit freier Meinungsäusserung hat dies nichts mehr zu tun, sondern nur noch mit gezielter Einschüchterung, wie wir sie aus den Diktaturen unserer Zeit kennen.
niemanden kümmert, dass der erste anti-sarasin-text im tagi von einer führungsperson verfasst war, die seit vor-führungsfunktionszeiten mit einer anderen, höheren tamedia-führungsperson liiert ist.
“Akademikerpaar Sarasin“? Prof. Dr. Svenja Goltermann ist für Sie also ein Anhängsel von Prof. Sarasin? Ich bin zutiefst empört über diesen frauenfeindlichen Hetzbeitrag!
Wer noch mag, hier mein Beitrag zum Thema:
http://medienwoche.ch/2014/11/24/von-opferlaemmern-und-der-berufsethik/
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