Auf der Suche nach dem Ei des Columbus

Vor einigen Wochen ist das Buch «Medien und Öffentlichkeit – Zwischen Symbiose und Ablehnung» erschienen. Es handelt sich um ein Werk des Verbandes Schweizer Medien. Ursprüngliches Ziel der Publikation war es, zu den ewigen Weltuntergangsstudien der vereinigten Medienwissenschaftler einen Kontrapunkt der Branche zu setzen. Man wollte in einem «Weissbuch» positive Aspekte der heutigen Medien herausarbeiten und zuhanden von Politik und Öffentlichkeit den Beweis antreten, dass die Branche nicht einfach in die Mainstreamfalle getappt oder in ein Qualitätsloch gefallen ist.

Das Buch ist zweifellos interessant und lesenswert und bietet eine Fülle an Meinungen der unterschiedlichsten Verleger und Publizisten. Ziemlich einmalig ist, dass weltanschauliche Alphatiere wie ein Roger Köppel, ein Res Strehle und eine Susan Boos in einer gemeinsamen Publikation über eine gemeinsame Sache reden. Das mag einer gebeutelten Branche zeigen, dass sie im Innersten doch noch durch eine Art magische Klammer zusammengehalten wird. Doch es wird nicht deutlich, woraus diese Klammer besteht. Vielleicht aus der Lust, zu schreiben, zu publizieren? Oder böser gesagt: zu belehren, sich zu präsentieren? Doch genügt das?

Im Einzelnen zerfällt das Buch in Beiträge, die isolierte Themen betrachten. So isoliert, wie die Mediendebatten heute auf den verschiedensten Kanälen generell vonstatten gehen. Jungverleger, die neben publizistischer Macht nun auch noch betriebswirtschafliche Pflichten übernommen haben, preisen ihre Anpassungsfähigkeit an den (Werbe-)Markt als Gebot der Stunde. «Klassische» Journalisten werfen den Verlegern vor, die Redaktionen auszuhöhlen, und verkennen, dass sich das Publikum von den grossen Abonnementszeitungen zunehmend abwendet, selbst wenn noch weitere fünf Edelfedern eingestellt werden (sie wollen nicht wahrhaben, dass Qualität bei der Masse relativ geworden ist). Und im Internet findet eine unversöhnliche Diskussion über die Rolle von «Native Advertising» statt und über Zeitungen und Newsportale, die sich davon tatsächlich oder angeblich korrumpieren lassen.

Die Hoffnung war, dass sich dieses Weissbuch auf eine «grosse Branchenaussage» einigen könnte, welche bei Publizisten und Verlegern von «links bis rechts» Gültigkeit und Rückhalt besässe. Stattdessen ist es zu einem intelligenten Puzzle disparater Meinungen geworden (inkl. Werbespot für die «Basler Zeitung»).

Die Medienbranche − und im speziellen die klassischen Verlagshäuser mit Zeitungspublikationen − müsste sich abseits der alten Rollenbilder, die von aggressiven Gewerkschaftsaktionen im Retro-Look wieder kräftig bewirtschaftet werden, auf ein paar kurze, handfeste Grundsätze einigen. Eine Art Grundkonsens, der für alle gilt, egal ob «St. Galler Tagblatt», «Weltwoche», «Tages-Anzeiger» oder «Schaffhauser Nachrichten». Hier ein paar Ideen für solche Postulate:

  1. Die Verlage müssen ihre Werbesprache wieder finden. Sie müssen ihre Qualitäten anpreisen, statt sie schamvoll zu verschweigen. Es erscheinen immer wieder Studien, welche die Werbekraft der Zeitungen stützen und die Akzeptanz von Werbung bestätigen (zuletzt «Zeitung der Zukunft ohne Werbung?» der Universität St. Gallen). Der Verband Schweizer Medien hat dieses Manko, diese Resignation der Branche, erkannt und startet nun eine entsprechende Kampagne. Das allein genügt aber nicht, die Verlage müssen individuell aus ihrer Lethargie erwachen.
  2. Kreative Formen entwickeln, um auf die Werbewirtschaft einzugehen: Zeitungen gelten bei Werbern als ideenlos, kundenunfreundlich und unflexibel. Werbung wird von Redaktionen als nützlicher Ballast betrachtet. Sich progressiv gebende Werber haben sich daher vom Print abgewandt. Zeitungen müssen sich öffnen, das Werbe-Neolithikum verlassen, ohne dabei zur PR-Broschüre zu werden. «Native Advertising», transparent und intelligent gemanagt, kann einer der Ansätze sein.
  3. Die Medien müssen dem Staat beweisen, dass sie Service public bieten. Und dieser ist indirekt durch Entlastungen zu honorieren. Es geht nicht an, dass Redaktoren entlassen werden müssen, nur weil der Monopolbetrieb Post ohne Not die Porti erhöht. Hier braucht es eine Allianz aller, von «Weltwoche» bis «Wochenzeitung». Und alle müssen ohne Scham in Bern dafür lobbyieren.
  4. Journalismus alternativ (mit-)finanzieren: Journalistische Leistungen werden heute vom Markt weniger honoriert als früher. Der Moloch Gratis-Internet hat die Qualitätsmassstäbe verschoben und verdeckt, der Wert des Journalismus wird nicht mehr richtig erkannt. Die Gleichung: Mehr Mittel für die Redaktionen = mehr Auflage und mehr Erträge stimmt heute auf eklatante Weise nicht mehr. Journalistisches Sponsoring via Stiftungen oder andere Gefässe, wie es heute in den USA oft praktiziert wird, stösst in der Schweiz auf Nasenrümpfen. Wieso eigentlich?

Selbstverständlich wird es jetzt wieder jede Menge Meinungen geben, die diese vier Punkte unmöglich finden. Und genau das ist das Problem dieser Branche …

Andrea Masüger ist CEO der Somedia (vormals Südostschweiz Medien).

von Andrea Masüger | Kategorie: Mediensatz

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