Man mag langsam nichts mehr lesen und hören über Ueli Maurers Medienschelte am Verlegerkongress in Interlaken. Fest steht aber, dass bei einer öffentlichen Befragung sich sicher 70 Prozent der Bevölkerung hinter den Militärminister stellen würden. Alle haben schon einmal negative Erfahrungen mit Medien gemacht. Und da tut es gut, wenn selbst der Bundespräsident den Mahnfinger erhebt und Klartext spricht.
Dabei spielt es kaum eine Rolle, was Maurer konkret sagt (dass alle über das Gleiche und über dieses wiederum das Gleiche schreiben), es reicht, wenn er den Medien an den Karren fährt. Mit diesem Faktum muss leben, wer Medien produziert. Wenn dann auch noch ein Wissenschaftler wie Kurt Imhof die Maurersche These stützt, dann ist alles Argumentieren sinnlos. Dieses Vorurteil werden die Medien nie mehr los.
Und manchmal denkt man: Sie sind auch selber schuld. Noch während der Diskussion um die Philippika von Interlaken lautete eine Front-Schlagzeile in der «NZZ am Sonntag»:
«Economiesuisse-Präsident Karrer provoziert 1:12-Initianten.»
In der Bildlegende war zu lesen:
«Heinz Karrer und David Roth decken sich mit Vorwürfen ein.»
Im Lead:
«Karrer greift die Erfinder der 1:12-Initiative frontal an.»
Mei, mei, dachte man, was braut sich denn da zusammen? Nach langem Suchen im Text der Geschichte und im dazugehörigen Interview konnte man zu des Pudels Kern vorstossen. Karrer sagt in einem einzigen Satz des Interviews zu den 1:12-Initianten folgendes:
«So etwas erfinden nur Leute, die sich nie in einem Arbeitsumfeld bewegt haben.»
Die Konstruktion ist schnell gemacht: Karrer verhöhnt Initianten als Faulpelze. Schnell holt man ein paar Reaktionen ein, die bei den Faulpelzen naturgemäss in höchstem Grade empört ausfallen. Und schon steht der Skandal im Entwurf. Den Rest besorgen die Onlinedienste sofort − und die Zeitungen am Montag: Weitere Reaktionen, die Sache verselbständigt sich, bald weiss man gar nicht mehr recht, was denn eigentlich gesagt worden ist, aber bei diesen heftigen Reaktionen muss es ganz besonders schlimm gewesen sein. Der Skandal ist perfekt.
Als Leser fühle ich mich für dumm verkauft. Ich würde die Anlage der Geschichte akzeptieren, wenn Karrer auch auf Nachfrage und Insistieren dabei geblieben wäre, dass die Initianten arbeitsscheue Phantasten sind. Aber beim Nachhaken hätte die Gefahr bestanden, dass er seine Aussage relativiert oder abgeschwächt hätte. Folglich hat man darauf verzichtet und wohl mit Bibbern die Rücksendung des gegengelesenen Manuskripts erwartet, weil die Gefahr bestand, dass Karrer den Satz noch rausstreichen könnte. Ich weiss also heute noch nicht, ob Karrer wirklich so denkt oder einfach einen saloppen Spruch fallen liess.
Das ist nicht Journalismus, der aufklärt, sondern einer, der um des Klamauks willen Themen zuspitzt. Gestützt auf einen armseligen, einsamen Satz in einem Interview, der nicht weiter hinterfragt wird. Frontgeschichten, die auf so dünner Grundlage beruhen und nur dicker werden, weil alle möglichen Reaktionen rund herum zusammengebaut werden, müsste man verbieten.
Es sind solche Geschichten, welche dem Journalismus schaden. Die Leser sind nicht dumm, sie sehen, von welcher Qualität die Schlagzeilen sind. Wenn diese nach den ersten zehn Zeilen eines Textes in sich zusammenfallen, wird der Frust gross. Und Ueli Maurers Analyse gern gehört.
Andrea Masüger ist CEO der Südostschweiz Medien.
Das Zauberwort heisst differenzieren: Statt pauschale Anwürfe in voller Unschärfe zu bringen, hätte Maurer eine konkrete Medienkritik bringen können, vielleicht wäre er dann ernst genommen geworden. Dass Medienkritik generell gerne gehört wird, bleibt Ihre Einschätzung. Doch wäre es so, wäre das wunderbar, denn eine Verständigung über die Qualität von Medienprodukten ziert jede offene Gesellschaft und macht diese am Ende besser – aber auch nur, wenn Medienmenschen nicht in undifferenzierter Abwehr darauf reagieren. Doch leider stehen sie da Kritikern wie Maurer oft um nichts nach.
Medien, die Storys wie Luftballone liefern, werden auf lange Frist verlieren, denn blöd sind die Leser nicht. Jedenfalls nicht alle.
Ich verstehe Masügers Kritik nicht. Wie viele Leute auf der Pressestelle von Economiesuisse haben das Interview mit dem neuen Präsidenten Karrer gelesen? Da wird jedes Komma fünfmal geprüft. Eine Provokation, wie sie Karrer äusserte, rutscht nicht einfach in den Text hinein – sie ist bewusst gesetzt worden. Also ist es auch richtig, dass sie journalistisch aufgegriffen wird. Viele Schweizer Zeitungen haben nach dem Interview in der „NZZ am Sonntag“ Kommentare zur Aussage Karrers publiziert. Was soll schlecht sein an dieser Diskussion?
Kann es sein, dass Herr Masüger frustriert ist, weil die „Südostschweiz am Sonntag“ kläglich eingegangen bzw. von einem Pressetitel aus dem Aargau übernommen worden ist? Eien Überraschung war dieser Schritt nicht, denn die journalistische Qualität der „Südostschweiz am Sonntag“ war äusserst bescheiden.