Das grosse Branchen-Rätselraten um die Zukunft der Tageszeitungen hält auch in der Sommerpause an. «Spiegel Online» präsentiert das «Projekt 2020», eine grossangelegte Leserumfrage zum Thema «Brauchen wir noch Tageszeitungen, und wenn ja, welche?». Leser, Journalisten, Fotografen und Grafiker sind aufgerufen, sich zu Wort zu melden, mit «Kritik, Ideen, Texten und Konzepten». Aus diesen Quellen soll dann in ein paar Wochen eine «einmalige, digitale Tageszeitung» entstehen, welche «Spiegel Online» aus den besten Vorschlägen zusammenstellen wird.
Über 170 Diskussionsvoten sind bisher eingegangen. Die Herausragendsten in einer Kurzzusammenfassung:
- Journalismus soll sich auf Fakten beschränken und weniger «Zahlenkolonnen» bringen.
- Mehr Recherche bitte!
- Was will der SPIEGEL eigentlich? Ist doch nur die Hälfte Werbung und die andere Hälfte Boulevard.
- Habe eh noch nie Zeitungen gelesen, wieso soll ich es künftig tun?
- Man sollte auf die Trennung von Nachrichten und Kommentaren achten.
- Tageszeitungen braucht es nur noch lokal, alles andere gibts im Internet.
- Weniger political correctness.
- Zeitungen bringen eh nur Themen, welche die Redaktoren als wichtig erachten und nicht die Leser.
- Faktenjournalismus und Recherche braucht es gedruckt nicht mehr, das findet man im Internet gratis.
- Eine Medienberatungsfirma oder sowas ähnliches erfeifert sich, dass der SPIEGEL Gratistipps haben will. Man hätte schon das richtige Konzept, aber sicher nicht kostenlos …
- etc. etc.
Ich fürchte, dass diese «einmalige, digitale Tageszeitung», welche der «Spiegel» plant, eine ziemliche Missgeburt werden wird. Der Ansatz, via Online, Twitter und Facebook sozusagen durch die schiere Masse auf brauchbare Lösungen zu kommen, ist ja auch schrecklich naiv. Welcher Apotheker steht schon auf die Strasse und bittet Passanten um ihre Meinung, wie er seine Rezepturen zusammenstellen soll? Nur die Medien machen solche Übungen, weil sie längst die Übersicht verloren haben.
Andrea Masüger ist CEO der Südostschweiz Medien.
Ich glaube, dieses Beispiel ist ziemlich repräsentativ für das, was sich in den Kommentarspalten tut. Es zeigt, dass das oft beschworene «Gespräch» eher selten stattfindet. Häufiger ist es blosses Geschwätz, ein grosses Tohuwabohu. «Many-to-many»-Kommunikation halt, wo mehr geredet als zugehört wird.