Am 19. Januar steigt vor dem Bezirksgericht Zürich der erste Whistleblower-Prozess der Schweiz, der im Bankenmilieu spielt. Whistleblower (=Pfeifenbläser) sind Hinweisgeber, die Missstände, illegales Handeln oder allgemeine Gefahren an ihrem Arbeitsplatz meist mit Hilfe von Medien an die Öffentlichkeit bringen. In den USA und Grossbritannien wird diese Spezies Mensch gesetzlich geschützt, wenn das, was sie auf den Tisch legen, relevant genug ist. In Deutschland sind zumindest beamtete Verpfeifer gedeckt.
In der Schweiz gelten sie hingegen als «Verräter», die keinerlei rechtlichen Schutz geniessen und die von Amtes wegen verfolgt werden, insbesondere dann, wenn sie sich trauen sollten, aus dem Innersten der Finanzindustrie zu berichten. Selbst dann, wenn es sich um eine mutmassliche Straftat handelt. Dem steht das im Inland noch immer voll intakte Bankgeheimnis entgegen. Der geringste Verstoss gegen dieses «Gesetz der Gesetze» wird wie Mord, Totschlag und schwerer Raub als Offizialdelikt behandelt, d.h. die Justiz muss sofort von sich aus agieren, wenn sie auch nur den Hauch eines Hinweises erhält. Auch ohne jede Strafanzeige.
Unheimlich gezähmt
Das diszipliniert eine ganze Branche ungemein und zähmt Justiz, Verwaltung und Medien, weil sie schon mit kleinsten Informationen, die das Bankgeheimnis tangieren könnten, mit einem Fuss im Gefängnis stehen. Warum das so ist und wem diese nicht zu hinterfragende Rechtskonstruktion aus dem letzten Jahrhundert vor allem nützt, braucht nicht näher erläutert zu werden.
Rudolf Elmer, der im Januar als Whistleblower vor Gericht steht, war mir als relativ aufsässigem Schweizer Medienkonsumenten bisher nur als psychisch angeschlagener Ex-Banker bekannt, der seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Bank Julius Bär, schmächlich verraten und aus eigennützigen Gründen diffamiert hat.
Bloss Psycho?
Das einzige Interview, das ein Schweizer Journalist mit diesem «Landesverräter» führte, lief am 2. April 2008 in der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens. SF-Chefenthüller Hansjürg Zumstein präsentierte einen psychisch angeschlagen wirkenden Mann in kurzen Hosen an einem afrikanischen Strand mit relativ wirren Aussagen, aber keinen nachvollziehbaren Hinweisen, was dieser Herr der Bank Julius Bär nun wirklich vorwarf.
Auch die sehr überschaubare Truppe an investigativen Journalisten wie Lukas Hässig oder Leo Müller hielten sich zurück. Am 17. April 2007 schrieb Meinrad Ballmer in der «Financial Times Deutschland»: «Kenner des Falls sehen in dem mutmasslichen Täter einen an Verfolgungswahn leidenden psychischen Kranken.»
Die «Kenner des Falls» sitzen, selbstredend, bei der Bank Julius Bär. Mit diesem Psycho-Verdikt war für die Schweizer Medien der Fall wirksam entsorgt. Ausser dem seltsamen «Rundschau»-Beitrag findet sich nirgendwo in heimischen Medien ein Interview mit Elmer.
Google hilf!
Und Google half.
Zum Beispiel mit «Spiegel online» (8. April 08), «FAZ» (6. März 2008), «Le Soir», Brüssel (25. Juli 2009), «New York Times» (18. Januar 2010), «Hürriyet», Istanbul (31. Januar 2010), «Financial Times Deutschland» (5. Februar 2010).
Hab ich was verpasst?
Allerdings kostete es mich ziemlich viel Aufwand – ist ja eigentlich nicht meine Aufgabe als zahlender Medienkonsument – herauszufiltern, was hinter diesem Fall noch alles steckt. Weitere hilfreiche Quellen dabei sind die Websites «matchafa», «Wikileaks», «The Komisar Scoop» und «Financial Wire». Die alle nahmen sich der Sache ziemlich intensiv an.
Am ausführlichsten war der britische Journalist Nick Davies mit einer mehrteiligen Serie im «Guardian» (u.a. 13. Februar 2009; später in seinem Buch «Flat Earth News»), kein Kleinkaliber übrigens: 1999 gewann Davies den Titel «Reporter of the year». Er hält Elmer keineswegs für verrückt, interviewte ihn stundenlang während mehreren Tagen (Video) und liess sich Dokumente vorlegen und erklären. Das Offshore-Banking war danach in UK Tagesthema, auch mit den sehr spezifischen Schweizer Besonderheiten. Hat man davon in unseren Medien irgendetwas mitbekommen? Ich als einigermassen aufmerksamer Leser jedenfalls nicht.
Einsamer Schweizer Journalist
Bei den Schweizer Quellen fiel mir einzig Gian Trepp in der «Woz» (z.B. hier und hier) auf, der mehr als nur eine Psychostory aus dem Fall Elmer/Bär machte und offenbar weit und breit der einzige Schweizer Journalist ist, der eigenständige Recherchen anstellt und sich nicht hauptsächlich auf die Pressestelle der Bank Bär verliess.
Der Fall ist sehr komplex, Details muss ich mir hier deshalb ersparen. Im Kern versucht Rudolf Elmer, aus welchen Motiven auch immer, aufzudecken, dass die Schwarzgeldindustrie eine Billionenindustrie ist, ein hoch professionell und global vernetztes System, und dass die Schweiz nach wie vor die zentrale Drehscheibe dieser Industrie ist und bleibt – allen andern Behauptungen zum Trotz.
Wer sich mit diesem System anlegt, kann schon zeitweise psychische Beeinträchtigungen davontragen. Da wäre Rudolf Elmer nicht der erste.
Kein Thema
Man muss wieder mal wieder ins Ausland surfen, um mehr von dem zu erfahren, was zu Hause passiert, zum Beispiel zur «Süddeutschen Zeitung», die übrigens 1:1 mit Elmer sprach: «Seine [d.h. Elmers] Freunde hatten ihn gewarnt: Wer sich mit der Finanzwelt anlegt, gilt als Verräter. Es ist das Los vieler ‹whistleblower› die, oft auch aus verwerflichen Motiven, letztlich dem Gemeinwohl dienen.»
Viele Schweizer Medien haben sich aber mehr mit Elmers Fehlern beschäftigt als mit der Bank Julius Bär. Die «Sonntagszeitung» stellte ihn als psychisch Kranken dar, der an Verfolgungswahn leide. Seine Ängste, seine undurchsichtige Taktik, wecken mehr Interesse als die Umstände, die er aufdeckt.
Wie auch immer die Begleitumstände sind: Elmer ist der erste überhaupt, der aus dem Innersten der Schweizer Finanzindustrie berichtet – und eben nicht nur mit einer geklauten CD, sondern mit über Jahren erworbenem Insiderwissen: nach Uni-Studium in den USA bei Credit Suisse, KPMG, auf Jersey und der Isle of Man, 20 Jahre bei Julius Bär, sieben Jahre davon Revisor in der Konzernzentrale, acht Jahre bei Bär-Cayman, zuletzt als CEO, ein Insider des milliardenschweren Offshore-Business.
Kein Thema für Schweizer Medien, ausser irgendwelcher Psychogeschichten?
Die Zahlen des Doktor Vasudeva
Zurzeit wird der Eindruck erweckt, als ginge der Schweizer Schwarzgeldindustrie der Schnauf aus. Es geht dabei tatsächlich aber um hunderte von Milliarden Franken Schwarzgeld auf Schweizer Konten, die nicht einfach hierher fliessen, sonder die aktiv akquiriert werden. Auch heute noch. Und immer mehr.
Und schon wieder muss ich ins Ausland surfen, um mehr zu erfahren, und zwar zur «India News and Feature Alliance (INFA), India’s leading news and feature agency». Dort setzt mir ein Dr. P.K. Vasudeva auseinander, dass davon auszugehen sei, dass auf Schweizer Bankkonten 1,5 Billionen Dollar Schwarzgeld aus Indien lägen, aus Russland 470 Milliarden, aus der Ukraine 100 Milliarden, aus der VR China 96 Milliarden usw. Alles Staaten, mit denen die Schweiz keine Steuerabkommen unterhält.
Ich habe keine Ahnung, ob diese Zahlen stimmen, aber die Biografie des Doktor Vasudeva ist jedenfalls nicht ohne: «He has been Senior Executive, TATA Exports (Head Carpet Division), Member, State Consumer Disputes Redressal Commission, UT Chandigarh. Founder Director, Atmanand Jain Institute of Management and Technology (KU), Past President, Chandigarh Management Association (CMA), Principal-Director, College of Communication and Management, and Senior Professor Icfai Business School, Chandigarh. His present appointments: Expert Panelist in IPR, National Institute of Science, Communication and Information Resources; […].»
Er schrieb seine Dissertation über die WTO in Genf – und sollte so eigentlich irgendwie auffindbar sein, zum Beispiel für ein Interview darüber, was es mit diesen Zahlen auf sich hat, die die Schweiz noch in grosse Schwierigkeiten bringen werden. Ist doch keine Kleinigkeit, nicht wahr?
Ich habe es satt, mich als Schweizer Medienkonsument bei diesen Themen noch länger belügen zu lassen!
Fred David ist seit 40 Jahren Journalist (u.a. «Spiegel»-Redaktor, Auslandkorrespondent der «Weltwoche», Chefredaktor von «Cash»). Er lebt heute als freier Autor in St. Gallen. Was er hier schreibt, ist seine persönliche Meinung.
Alles gut und richtig. Nur: Wieso schreiben Sie nicht selber darüber? Oder reicht es Ihnen, jeweils nur auf die Missstände hinzuweisen? Auch hier hilft Google: Man suche nach „Fred David“ und das erste Suchresultat führt zu einem Beitrag auf persoenlich.com von 2003. Zitat: „Dabei gäbe es viel zu recherchieren. Zum Beispiel, warum sich Swiss Life ungestraft erlauben kann, sich zweimal hinter einander um je 250 Millionen zu ihren Gunsten zu verrechnen. Nichts passiert. […] Warum wohl muss ich die Financial Times Deutschland lesen, um zu erfahren, was bei der Swiss wirklich passiert […]“
Seit sieben Jahren das gleiche Lied?
@)gis: einfach mal ein bisschen googeln, da wird man schon fündig, z.B. unter Cicero oder NZZ Folio und so.
Im übrigen: Das hier ist ein Medienblog. Er beleuchtet Medien und Medienmacher. Manchmal halt ein bisschen greller, als es dem einen oder andern lieb ist. Aber immer nachprüfbar. Dank Google.
Weiss ich doch, ich habe übrigens sogar „Im Club der Milliardäre“ gelesen. Der Kommentar war halt ebenfalls entsprechend grell …
Immerhin ein Gastautor, der Kommentare auch beantwortet – tun lange nicht alle hier.
@) gis: Ist ja ein Blog. Wir können gern weitermachen.
Sie schreiben: „Alles gut und richtig“.
Ja?
Ich fühle mich als Medienkonsument, der ich halt eben auch bin, bei den oben erwähnten Themen bewusst falsch informiert. Und zwar flächendeckend. Es gibt kaum Abweichungen.
Die organisierte Schwarzgeldindustrie hat inzwischen derartige Ausmasse angenommen: die lässt sich nicht mehr einfach stoppen, selbst wenn es die oberste Führung einer Bank möchte. Es geht um viel zu viel Geld und um viel zu viele Interessen , die damit verbunden sind. Das ist eine ganze Kette, nicht nur von Banken und deren zum Teil sehr euinflussreiche Kunden, sondern auch von Treuhändern, renommierten Anwaltkanzleien, Lobbyisten usw.. Uebrigens auch Unternehmen.
Viele internationale Konzerne unterhalten Schwarzgeldkonten in der Schweiz – und längst nicht nur zum Steuern sparen. Das sind zum Teil hochkomplexe Konstruktionen, zu denen die Banken aktiv Hand bieten. Diese Industrie ist grenzüberschreitend hochgradig vernetzt. Dagegen kommen Regierungen und Behörden gar nicht mehr richtig an. Mit irgendwelchen Abgeltungssteuern wird bewusst ein falscher Eindruck erweckt, man habe die Sache im Griff. Schon die seit 9 Jahren geltende Zinsbesteuerung ist eine Farce und löst das Problem in keiner Weise. Die Politik, übrigens auch in Deutschland, weiss das, erweckt aber einen andern Eindruck zwecks Beruhigung des Publikums.
Die hiesige Schwarzgeldindustrie, die nicht alle, aber sehr viele Banken umfasst, übrigens auch ausländische Banken in der Schweiz, die sehr einflussreich sind (insbesondere in Genf), benützt diesen Staat nur noch als leere Hülle für ihre Geschäfte. Die Oeffentlichkeit wird über die Dimension dieser Vorgänge bewusst im Dunkeln gelassen.
Da gibt es nun wirklich viele Ansatzpunkte für Journalisten. Der Fall Elmer ist für mich symptomatisch. Er wid als Psycho hingestellt – mit gezielten Informationen aus der Pressestelle der Bank Julius Bär – und damit ist der Fall flächendeckend erledigt. Das ist nicht hinnehmbar.
ps. Nur weil Sie oben etwas sehr persönlich geworden sind: Die Buchkritiken in „Bilanz“, „Welt am Sonnatg“, Spiegel“ u.v.a. waren durchwegs positiv bis sehr positiv….
Interessant, danke für das Googeln und die Links! Mir fehlt hierzulande aber nicht nur die Recherche, sondern fast mehr noch die Debatte. Wir Medienleute – ich nehme mich da nicht aus – haben offenbar häufig Hemmungen, sobald es unübersichtlich wird, sobald Interessen tangiert sein könnten, die wir nicht einzuschätzen wissen. So sind wir in der Gesamtheit kein Frühwarnsystem, sondern eine simple Verstärkeranlage. Fürchten muss uns, wer schon eine schlechte Presse hat. Die politische Auseinandersetzung in den Medien wird zwar aggressiv geführt, ist aber ein blosser Lagerkampf, der es allen Beteiligten – ausser dem geopferten Bauern – erlaubt, in ihrer sicheren Deckung zu bleiben.
Die Gelegenheit, sich selber ein Bild von Rudolf Elmer zu machen, bietet sich am 17. Nov. (20.00 Uhr, Kanzleiturnhalle, Zürich). Gemäss einer heute zufällig in der WOZ gelesenen Notiz erläutert Rudolf Elmer „im Gespräch mit dem Journalisten und WOZ-Mitarbeiter Gian Trepp … die herrschenden Mechanismen [der Steuerhinterziehung via Steueroasen]“. Google sei Dank ist auch schnell ein Link zur Veranstaltung gefunden: http://al-zh.ch/index.php?id=50&tx_ttnews%5Btt_news%5D=170&cHash=f735acf4da76081270dbacbc45c94024
Sag mal, Fred David, hast du eigentlich schon mal über Polizeischutz nachgedacht? Ich meine, das ist ja nicht irgendwer, mit dem du dich da permanent anlegst – und auch Schweizer Banken legen doch Wert auf das weißeste Weiß ihres Lebens, gewöhnlich ‚Diskretion‘ genannt …
als ich das interview mit elmer auf spon veröffentlichte, bat mich die bank aus patriotischen gründen darauf zu verzichten…
@ mso:Das sollten Sie etwas näher erklären, weil das sonst viele Leser hier für einen Scherz halten: Die Bank Julius Bär bat Sie, das Interview mit Rudolf Elmer „aus patriotischen Gründen“ nicht zu veröffentlichen??
Danke Herr David für Ihren Mut! Ich teile Ihre Meinung und weise jedoch darauf hin, dass der massive Druck der Bank mit Stalking der Familie, Morddrohungen und 3 Mal die Arbeit aufgrund JB verloren) ich auch Fehler gemacht habe. Ich habe mich gegen diese Massnahmen gewehrt und das ist meines Erachtens rein menschlich unter diesem Druck Fehler zu machen, wenn die Polizei, die Presse und die Justiz nur zuschaut wie meine sechsjährige Tochter und ich psychisch krank werden (Posttraumatische Belastungsstörung). Ein klarer Fall von „Wilfull Blindness“! Was auch immer:
Nun da gibt es immer noch viel zu tun und ich werde mit diversen Projekten (Bücher Bankenterror (Sachbuch), Tax Heavens (Novelle für den Nicht-Bankmann/Frau und der The effective Whistleblower) und zwei Filmprojekten aufwarten. Leider nur mit Unterstützung aus Amerika ist das möglich, denn Europa hat immer noch die Idee, Todschweigen des globalen Finanzterrorismus ist die richtige Strategie! Amerika hat es erkannt, denn die Not überzeugt und sogar Superreiche und Leute im Senat wollen höhere Steuern zahlen und den Missbrauch der Steuer- und Verdunklungsoasen stoppen!
Die Zeit ist gut und der Zeitpunkt meines Gerichtstermins perfekt!
Rudolf Elmer