Replik auf Pietro Supinos «Magazin»-Artikel «Die Qualität unserer Presse»,
von Kurt Imhof
Auseinandersetzungen über die Medienqualität sind erfreulich. Was wir über die Welt und die Gesellschaft wissen, das erfahren wir weitgehend aus den Medien. Deshalb sollte das Wissen, das sie vermitteln, von Qualität sein. Umso wichtiger ist es, dass der Verwaltungsratspräsident des Medienhauses Tamedia, Pietro Supino, in die Debatte eingreift. Er tut dies mit gutem Grund: Die Sorge über die sinkende Qualität der Massenmedien teilen viele Menschen, da herrscht breiter überparteilicher Konsens. Die Frage beschäftigt die Wissenschaft, die Verbände der Journalistinnen und Journalisten, Bildungseinrichtungen, Kirchen. Etliche Vereine und Stiftungen setzen sich für mehr Qualität ein.
Pietro Supino leitet den wichtigsten Schweizer Verlag. Sein Beitrag im «Magazin» und auf «tagesanzeiger.ch» zeugt einerseits von seiner Einsicht, dass sich die Qualitätsfrage stellt, und andererseits von der Allergie auf Kritik der meisten Medienleute: Wehe dem, der die Kritiker kritisiert! Auffällig ist der Verdruss des Autors über das Jahrbuch «Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera» (www.qualitaet-der-medien.ch), das im August zum ersten Mal herausgekommen ist – in der Absicht, das Bewusstsein für Qualität auf Seiten der Medienmacher wie des Publikums zu schärfen.
Polemik und Konsens
Supino polemisiert gegen Medienkritiker im allgemeinen und gegen das Jahrbuch aus dem Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich im besonderen. Die im 373 Seiten starken Band geäusserten Befürchtungen hätten «mit der Realität wenig zu tun». Die «Vorwürfe» seien «überzogen und vom wissenschaftlichen Standpunkt aus fragwürdig». Unsinnig, «ärgerlich» und «nicht belegt» sei die (im Jahrbuch nirgends zu lesende) Aussage, die «Demokratie … sei in Gefahr».
Trotz der notorischen Mühe vieler Medienmacher mit Kritik erstaunt solche Verve, weil der Tamedia-Verleger wesentliche Befunde des Jahrbuchs und der Medienforschung bestätigt: Er räumt Gefährdungen durch «Aktualitätsdruck» ein. Wie das Jahrbuch bemängelt er die Neigung zur «Konformität», mit anderen Worten die Reproduktion des Gleichen: das Abfüllen vieler Kanäle mit denselben Agenturmeldungen oder Beiträgen (wie dem von Supino selbst). Er bedauert «Zuspitzungen», die «Tendenz zur Skandalisierung und Personalisierung» und die «Vermischung von Analyse und Kommentar».
Supino unterstreicht die Bedeutung «unabhängiger Rechercheleistungen», deren Schwinden das Jahrbuch auch auf den Verlust vieler Stellen im Journalismus zurückführt. Der Tamedia-Verleger verweist auf das (gerade dadurch verstärkte) Risiko eines stärkeren «PR-Einflusses» auf Redaktionen. Er betont die Notwendigkeit von «anständigen Arbeitsbedingungen und Redaktionen, die mit angemessenen Ressourcen ausgestattet sind». Auch unterstreicht er den «hohen Stellenwert» einer Auseinandersetzung über publizistische Qualität – «für uns Verleger» stellt sich die Frage, «wie Qualität gesichert werden kann». Supino sieht sehr wohl ein «Bedürfnis nach externer Qualitätssicherung».
Auf diese übereinstimmenden Einsichten liesse sich eigentlich aufbauen, um zusammen mit dem Verlegerverband «Schweizer Medien» die Qualitätsdebatte und -sicherung zu fördern. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Diese Hoffnung bezieht sich auf das Gebot der Aufklärung, Zustände zu schaffen, in denen die sanfte Gewalt des besseren Arguments zur Geltung kommt.
Helfen die Verleger?
Der Tamedia-Verleger jedoch negiert weitgehend den Bezug zwischen der Qualität der Demokratie und der Qualität von Medien wie Online-Portalen und Gratiszeitungen; man müsse vielmehr das Gesamtangebot aller Medien und des Internets überhaupt betrachten. In der Quantität liege die Qualität. Zudem weist er auf die fehlende Forschung über die Wirkung der Medien in den Köpfen des Publikums und auf den wachsenden PR-Einfluss auf die Redaktionen hin.
Mit diesem letzten Punkt hat Supino Recht. Das Jahrbuch «Qualität der Medien» besteht aus einer vergleichenden Untersuchung des Journalismus in Presse, Radio, Fernsehen und Online in den 46 wichtigsten Medientiteln der drei grossen Sprachregionen. Zusätzlich berücksichtigt es die Eigentumsverhältnisse und die zunehmende Konzentration, die Ressourcen und die Nutzung bei den 137 wichtigsten Medien in den Jahren 2001, 2005 und 2009. Es handelt sich um eine klassische Untersuchung anhand von vier in der Qualitätsforschung üblichen, in den Ethiken des Journalismus verankerten und völlig transparent gemachten Kriterien Vielfalt, Relevanz, Aktualität und Professionalität: Das ist ein bewährter Ansatz der Forschung, um zum Qualitätsbewusstsein der Macher und Nutzer von Medien beizutragen. Dieses Vorgehen zeigt unter anderem auf, dass in den quantitativ am stärksten gewachsenen Medien, den Gratiszeitungen und den Online-Newssites, wenig Qualität drin steckt, obwohl das Publikum, wie Befragungen wenig überraschend zeigen, guten und das heisst vor allem einordnenden Journalismus will. Das hat natürlich auch mit den Ressourcen des Gratisjournalismus on- und offline zu tun.
Wenn Supino nach Untersuchungen der Medienwirkung und der Macht der PR ruft, verkennt er die finanziellen Möglichkeiten der Forschungsinstitute: Eine ergänzende Untersuchung des Einflusses von Public Relations bestünde in einer «Input-Output-Analyse» der PR-Angebote an Redaktionen und ihres Niederschlags auf die redaktionellen Inhalte. Weil PR-Leute kein Interesse haben, ihre Einflussnahme offenzulegen, und weil Journalisten ungern ihre Abhängigkeit von der PR zugeben, stösst diese Forschung auf ähnlich hohe Hürden wie die Korruptionsforschung. Selten werden Missbräuche, wie unlängst der Fall Möbel Pfister im «Magazin» aufgedeckt.
Dennoch, wir haben kreative Forschungsideen, wie sich der von Supino zu Recht hervorgehobene Missstand – tendenziell mehr Ressourcen für die PR, tendenziell weniger für die Redaktionen – untersuchen liesse. Allerdings ist das eine Frage der Kosten, und das gilt ebenso für die Medienwirkungsforschung: Sie würde eine noch teurere Befragung im Jahresrhythmus erfordern, dafür fehlen die Mittel. Helfen Pietro Supino und der Verlegerverband?
Die Gratisqualität und die Demokratie
Um die vom Jahrbuch angeblich verkannten Chancen des Internets für den Journalismus zu schildern, schlägt Supino einen grossen Bogen – vom Nutzen der Blogs und sozialen Netzwerke bis zu den neuen Möglichkeiten des Internets für Rechercheure (die sich ihre Informationen leider oft genug auf den PR-gesteuerten Homepages der Firmen, Verbände und Behörden beschaffen). Supino unterstellt, dass «manche Kritiker unterstellen», Online-Portale seien «Plattformen für geistig Minderbemittelte». Wirklich? Jedenfalls hat das gar nichts mit dem Jahrbuch zu tun: Es untersucht die Gattung der Online-Newssites gleichrangig wie Presse, Radio und Fernsehen. Das Problem ist nur: Die Untersuchung zeigt, dass die zu knappen journalistischen Ressourcen, der Aktualitätsdruck und erst recht der Wettbewerb um Aufmerksamkeit manche Nachrichtenportale dazu verführt, mit Soft-News und moralisch-emotionalen Zuspitzungen die Zahl der Clicks zu erhöhen. Dass dies nicht zwingend nötig wäre, beweisen die ausgezeichneten Portale etwa von «Le Monde», «New York Times», «Guardian» und der «Süddeutschen Zeitung». Die in der Schweiz ausgeprägte Boulevardisierung kommerzieller Portale schadet der Reputation traditionsreicher Medienmarken: weil nicht das drin ist, was die Marke verspricht.
Der Ärger über den Überbringer der Botschaft, dass Gratiszeitungen die Qualitätskriterien schlecht erfüllen, ändert nichts am Ergebnis: Die Einordnung der Informationen – eine Kardinalaufgabe der Journalisten – findet viel zu wenig statt, das Angebot ist nicht nachhaltig. Solcher Journalismus bietet viele emotional aufgepeppte Agenturmeldungen und «Human Interest». Die Gratisabgabe verbessert nicht die journalistische Qualität, entzieht aber dem Bezahljournalismus Inserate-Einnahmen und mindert das Bewusstsein der (jungen) Leserinnen und Leser, dass guter Journalismus Geld kostet.
Überdies wehrt sich Supino gegen die in der Kommunikationswissenschaft breit verankerte These, dass der Populismus von Medien den politischen Populismus begünstigt (und vice versa). Die Suche nach Aufmerksamkeit um fast jeden Preis verändert die Wahrnehmung von Politik und Wirtschaft: Populistische Medien richten sich auf «Prominente» aus. Sie skandalisieren auch das, was nicht skandalös ist. In Zeiten der Globalisierung verengen sie den Blick aufs allernächste Umfeld. Hierzu hat der Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Uni Zürich eine Reihe von Untersuchungsergebnissen vorgelegt, die insbesondere den Wandel seit den 1980er Jahren aufzeigen.
Es ist nun einmal so, dass Billigmedien mit billigen Geschichten à la Hirsch- und Kachelmann aufwarten, dass Parteien mit den knappsten und provokativsten Botschaften über ihre Wählerstärke hinaus Resonanz finden, dass der National- und der Ständerat aufgrund ihrer geringeren «Personalisierbarkeit» in dramatischem Ausmass an Aufmerksamkeit verloren haben, dass die Auslandberichterstattung trotz internationaler Interdependenz der Schweiz schrumpft, dass die Wirtschaftberichterstattung sich dem Tempo der Quartalsabschlüsse angepasst und an kritischer Distanz verloren hat und dass gerade Gratiszeitungen und kommerzielle Portale die Welt auf Kriege, Katastrophen und Affären verkürzen.
Selbstverständlich wirkt sich all das auf unsere Gesellschaft und Demokratie aus. Jener Journalismus, der sich wenig für Inhalte der Politik und mehr für die Privatsphäre der Politiker interessiert, der auf den Bundesrat fixiert ist und das Parlament verkennt, verändert den öffentlichen Raum. Am meisten Echo finden Politiker und Parteien, die Probleme lieber emotionalisieren als versachlichen. Nebensächliche Themen werden aufgeblasen, relevante Fragen unterbelichtet. In Zeiten der «Blasen» wurde die Wirtschaftberichterstattung manchmal Teil des Problems statt der Lösung. Die Schweizer Weltläufigkeit schwindet, wenn die Auslandberichterstattung verkümmert und Medien den Eindruck wecken, jenseits der Grenze bestehe die Welt aus Unglück und Unsittlichkeit.
Es ist ein schwacher Trost, dass die Schweiz da kein Sonderfall ist. Zahllose Untersuchungen belegen den Qualitätsschwund auch in amerikanischen und europäischen Medien. Überall die ziemlich gleiche Diagnose: Der härter werdende Wettbewerb um Werbung und Marktanteile bei knappen Ressourcen fördert qualitätsschwache Medien. Die Ergebnisse des Jahrbuchs fügen sich in den generellen Befund der Qualitätsforschung – und sind für die Schweiz keineswegs neu. Dank dem Jahrbuch allerdings werden erstmals alle wichtigen Medien und Sprachregionen anhand eingehender, aufwendiger Analysen damit konfrontiert: In der Schweiz ist die Erosion der Qualität – von einem höheren Niveau aus – rascher erfolgt. Und die lösungsorientierte Konkordanzdemokratie und das Kollegialitätsprinzip werden durch das Personalisieren und das Überzeichnen von Konflikten stärker gefährdet als reine Wettbewerbsdemokratien. Wer auf die Qualität der Medien achtet, erweist weder Pietro Supino noch der Eidgenossenschaft einen schlechten Dienst. Deshalb ist es wichtig, am eingangs beschriebenen Konsens anzusetzen und die Verbesserung der Qualität gemeinsam zu fördern.
Kurt Imhof leitet den «fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft» des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung und des Instituts für Soziologie der Universität Zürich. Er ist Mitherausgeber des Jahrbuchs «Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera».
Im Jahrbuch sei nirgends zu lesen, die Demokratie … sei in Gefahr, heisst es am Anfang dieses Texts. Am Schluss ist dann immerhin die „lösungsorientierte Konkordanzdemokratie“ gefährdet. Was gilt nun? Und ist „lösungsorientierte Konkordanzdemokratie“ ein Synonym für „kompromisssüchtige Filzokratie“?
Aber Schluss mit dem Schabernack: Was mich stört sind die ewigen Vergleiche mit grossen europäischen Zeitungen wie „Guardian“, „Le Monde“. Sind da die Grössenverhältnisse nicht ein wenig ungleich?
Und: Der „Fall“ Möbel Pfister im „Magazin“ ist ein krasser aber wahrlich kein seltener. Vielleicht sind die Hürden für die Forschung gar nicht so hoch?
@faulmurf: Der Vergleich mit grossen europäischen Zeitungen ist gar nicht nötig. Ich lese den Tages-Anzeiger als Printmedium schon seit mehr als 15 Jahren, und das reicht, um festzustellen, dass die Qualität mit jedem neuen Chefredakteur bzw. Verleger massive Einbussen erlitten hat.
Ich will nicht von der hochstehenden, tiefschürfenden Debatte um Supino vs. Imhof ablenken, die hier gleich losbrechen wird. Aber eine Bemerkung @Läubli muss mal sein: Es ist ja das wichtigste „Argument“ der Medienkritiker – so wichtig, dass es als Mantra keines Belegs mehr bedarf –, dass die Tageszeitungen und insbesondere der TA (den ich nicht Tagi nennen mag, weil ich ihn nicht liebe) wegen des Personalabbaus und des Kommerzdrucks immer schlechter würden.
Wie wärs mal mit minimaler Empirie, und seis nur persönlicher? Ich lese den TA seit mehr als vierzig Jahren, seit ich meinen freisinnigen Vater nötigte, statt der NZZ den TA zu abonnieren. Seit zwanzig Jahren stehe ich vor halb sechs auf, um den TA aus dem Briefkasten zu holen. Früher war das Blatt nach der ersten Sitzung des Tages erledigt. Seit einem Jahr – also seit dem Relaunch – fällt mir aber immer häufiger auf, dass ich erst nach halb sieben ins Bad komme, weil ich viel mehr lese, als ich eigentlich will.
Heute zum Beispiel neben vielem anderen den elitären, aber brillant gemachten Rotz von Loderer über die Hüslibesitzer (früher kaum möglich, sicher nicht so attraktiv aufgemacht), die Kolumne von Güzin Kar, die jetzt so outstanding ist wie ihre beiden Kollegen Hermann und Strahm (vorher undenkbar), die Artikel über den Kosovo und Berlusconi (auch dank des Layouts), die schön gestalteten Kulturartikel über den Imboden-Film und die Monet-Retrospektive (weil sie eben schön gestaltet waren) oder den Nachruf auf Branco Weiss samt Interview mit Ernst Fehr (Zusatzleistung!, früher kaum denkbar).
Die Highlights gestern waren die kritische Auseinandersetzung mit dem SPS-Parteitag (früher nicht möglich, durch den naiven Kommentar von heute wenig beeinträchtigt) und vor allem die Geschichte über die Antifeministen von Bettina Weber, meiner Lieblingsautorin beim TA: eine Modeexpertin, die selbst für Modemuffel auf hohem Niveau unterhaltsam schreibt und vor allem auch intelligent und brillant, mit einem ganz eigenen Ton über Geschlechterfragen – wann gab es das beim TA je?
Dasselbe gilt übrigens auch für die NZZ, die seit dem Relaunch nicht nur eine immer noch lesenswerte, sondern jetzt auch eine lesbare Zeitung ist. So las ich dank der attraktiven Aufmachung auch die Seite von ras. über Supino, stieg allerdings in der Mitte aus, weil ich alle Argumente (immerhin da mit etwas Empirie) schon kannte.
Aber es ist natürlich niemandem benommen, hier den Zeiten nachzutrauern, als die NZZ dreimal im Tag die SDA und das FDP-Generalsekretariat verbreitete und als sich die TA-Redaktion gegen ein neues Layout wehrte, weil auf einer Seite 7 Prozent weniger Buchstaben Platz fanden.
Warum überlassen Journalisten diese notwendige Debatte weitgehend Professoren, Verlegern und Verbandspräsidenten?
Ausnahme: mal wieder die NZZ, wo sich heute (2.11.10) Medienredaktor Rainer Stadler schwungvoll in die Debatte hängt.
Wenn Journalisten den Mund nicht aufmachen, wenn um ihr ureigenen Interesse geht, brauchen sie sich nicht zu wundern, dass ihr Stellenwert sinkt und sinkt und sinkt…
Journaliten, die man nicht mehr ernst nimmt, haben ein existenzielles Problem.
@Markus Schär: Abonniert habe ich seit dem Auszug aus dem Elternhaus die NZZ und schätze sie mehr als den TA. Der TA kommt mir aber je länger je mehr wie eine Kopie von 20Minuten vor. Dass Sie vom Layout schwärmen, kommt mir suspekt vor. Ich habe nämlich in Erinnerung, dass der TA anfangs dieses Jahres sein Organigramm abgedruckt hat. Mir ist dabei negativ aufgefallen, dass die Menge an Layoutern die Menge der Texter übertrifft. Das allein spricht Bände.
Ich stelle an eine Tageszeitung ein bisschen höhere Anforderungen. Klatschkolumnen à la Simone Meier oder Güzin Kar gehören nicht zum Primärangebot einer Tageszeitung. Mode und Lifestyle interessieren mich schlicht nicht. Dafür gibts die «Glückspost» oder den «Blick». Wie ein Kulturartikel gestaltet ist, ist Nebensache. Mich interessieren Inhalte, und die finde ich bei der NZZ. Im Kultur-Teil des TA werden vornehmlich Erzeugnisse der Kulturindustrie besprochen, auch wenn sie noch so medioker sind. Ich will mich über Kultur, die ihren Namen verdient, informieren und nicht über TV-Soaps, Pop-Sternchen oder Mainstream-Filme.
Dass man im Politik- und im Zürich-Teil vornehmlich die SVP-Agenda abspult, lässt auf die Präferenzen des Verlegers schliessen. Was soll etwa die lauwarme Geschichte um den Antifeministen Kuhn? Warum langweilt man den Leser damit, indem man ihn zu einem Helden gegen „politische Korrektheit“ hochstilisiert und schon zum fünften Mal darüber berichtet? Wenn das die Themen sind, die heute von den Journalisten dem Staatsbürger zur Beschäftigungstherapie verordnet werden, lautet meine Diagnose schlicht: Auftrag nicht erfüllt. Miserably failed.
Ich habe den Verdacht, dass in den Redaktionen irgendwelche Alt-Hippies das Gefühl haben, man müsse sich bei den jungen Lesern anbiedern. Dass das junge Publikum, das überhaupt ein Zeitungsabonnement ins Auge fasst, sich mit Mode, Lifestyle, Infotainment, Politpropaganda und Werbeartikeln begnügt, halte ich für einen kurzsichtigen Trugschluss. Dafür reicht das 20Minuten völlig. Wenn der TA damit den Blick konkurrenzieren will, soll er das, er muss sich aber nicht wundern, wenn die Abonnenten weiter abwandern…
Kurze Zwischenfrage: Seit wann steht sueddeutsche.de für Qualität?
@) Peter Suppi: süddeutsche.de nicht unbedingt. Die Süddeutsche Zeitung aber auf jeden Fall. Dazu gibts in der Schweiz keine vergleichbare Zeitung.
Und die FAZ schlägt inzwischen die NZZ, übrigens auch faz.de die nzz.ch. Zur „Welt“ sehe ich hier gleichfalls nichts Vergleichbares. Der TA ist eine gut gemachte Regionalzeitung. So versteht es zumindest der Verleger.
Ein Teil der Redaktion fühlt sich zu viel Höherem berufen, was ja legitim ist, aber nicht der Realität entspricht. Es fehlt an Weltläufigkeit, trotz gutem Auslandteil, der allerdings stark von der „Süddeutschen“ profitiert. Dafür ist der TA-Wirtschftsteil quicker als jener der NZZ, der immer noch sehr ideologisch daherkommt.
Der TA ist Züri-lastig, was für die Region gut ist. Aber nicht zwingend darüber hinaus. Züri ist halt entgegen anders lautender Annahmen nicht die Welt, aber trotzdem natürlich eine schöne Stadt.
Das ist ja das Problem der Schweizer Publizistik: Es gibt keine grosse nationale Zeitung, die diesen Anspruch erfüllt. Die NZZ ist dafür zu speziell. Und der „Blick“ ist zwar auflagestark, aber wenig urban, dafür Pflichlektüre in sämtlichen Landbeizen.
@Kurt Imhof
Danke für diese differenzierte, sachliche Replik! Ich hoffe auf die Überzeugungskraft des von Ihnen beschriebenen Konsenses. Entscheidend ist die – meiner Meinung noch ungelöste(?) – Frage, in was für einem Setting die in der Öffentlichkeit opponierenden AkteurInnen von Verleger- und Forschungsseite unter Einbezug von JournalistInnen und RedakteurInnen denn zueinander finden könnten. Um diese Hürde zu überspringen, wäre das schlagende Argument für alle Akteure ja da: Wir LeserInnen wünschen mehr Qualität in der Berichterstattung.
@MarkusSchär: Ich lese den «Tagi», der nun mal so heisst, nicht (mehr) täglich, aber doch immerhin regelmässig seit auch ungefähr 20 Jahren. Das Newsnetzgehetz habe ich fast gänzlich aus meinem Medienmenu gestrichen, es sei denn, mich packt die geballte Langeweile. Dito «20 Minutten».
Trotzdem glaube ich feststellen zu können, dass die Anfangseuphorie beim «Tagi» (nach den Massenentlassungen und dem neuen Layout) bereits merklich verpufft ist. Man kann dies immer wieder beobachten, wenn Zeitungen mit viel Brimborium einen Neustart wagen. Aktuell etwa bei der «Basler Zeitung». Für ein paar Wochen gibts überraschende Themenseiten, Hintergrundberichte usw. usf. (Im Falle der «BaZ» ausserdem viel, viel Crime.)
Nach ein paar Wochen verläuft sich die Starteuphorie, die sich im Idealfall aus Trotz und allenfalls noch Profilierungsneurose, meist jedoch aus Angst vor Arbeitsplatzverlust speist, bis sich die Zeitung eingestehen muss, dass sich das frühere Level nicht halten lässt. Das künstlich hochgehaltene Tempo weicht dem realistischen Alltag.
Aus dem Sonntag:
Moser&Medien, 7.10.10
IT’S THE QUALITY, SUPINO!
Das Beunruhigende an Pietro Supinos Analyse „Die Qualität unserer Presse“ ist die kühl durchgezogene Umdeutung von Quantität in Qualität. Der Tamedia-Verleger, als Chef eines expansiven Grosskonzerns auf den Vorwurf der Medienkonzentration sensibilisiert, argumentiert sich mit Masse statt Klasse sein Wirken schön. Die Klagen über die schwindende Medienvielfalt mag das entkräften, die Warnungen vor einem die Demokratie gefährdenden Medienversagen nicht.
„Dem Bürger“, rechnet Supino vor, stünden heute eine oder zwei Regionalzeitungen, zwei Pendlerzeitungen, mehrere Sonntagszeitungen, mindestens ein Lokal-TV und Lokalradio sowie 200 Kabel-TV-Sender, 75 terrestrische Radiostationen und rund 200 Millionen Webseiten im Internet zur Verfügung. Nein, ein quantitatives Problem ist die Krise der Medien wirklich nicht.
Was aber hat der Bürger von bis zur Unkenntlichkeit zugespitzten Bundesrätinnen- Aussagen? Von Autoren, die im „Magazin“ über dieselben Möbel schreiben wie für einen Katalog von Möbel Pfister? Von einem Lokal-TV, den Markus Notter, der Justizdirektor des Kantons Zürich, als „verlängerten Arm der Pressestelle der Stadtpolizei“ bezeichnet? Das sind drei konkrete Kritikpunkte an Tamedia, die in den letzten Monaten zu reden gegeben haben. Supino verliert darüber kein Wort.
Justizdirektor Notter beschrieb das Problem in der „Zeit“ so: „Der Regierungsrat hatte kürzlich eine Diskussion mit einem Vertreter eines grösseren Zürcher Verlags über die Frage von Qualität. Man legte uns dar, das alles, was man tut (…) einzig und allein der Qualitätssicherung dient. Aber auf meine Rückfrage, wie in diesem Haus Qualität definiert (…) wird, kam keine Antwort.“
Journalismus für Konsumenten statt für Bürger – dass ist das Problem unserer Zeit. Dieser Journalismus greift auch bei Tamedia um sich. Und dieser Journalismus ist eine Gefahr für die Demokratie.
Wir brauchen nicht mehr, sondern bessere Medien.
Ich hoffe, die Medienkritiker haben im Tagi heute die Seite 5 nicht überlesen: «Die TA-Redaktion empfiehlt mehrheitlich die Annahme der SP-Steuerinitative. In Absprache mit dem Verleger beendet sie das Thema kontradiktorisch.»
Offenbar ist der Chefredaktor nur ein Feigenblatt. Der Verleger darf inhaltlich überall ein wenig dreinreden. Da Herr Supino gute Kontakte zu rechtsbürgerlichen Kreisen pflegt, soll die Redaktion nicht wie die NZZ beherzt Stellung zur Vorlage nehmen dürfen.